Ringen um Akzeptanz

Wer ein ganzes Jahr geschlafen hat, muss wohl denken, Mirko Slomka sei ein unangefochtener Trainer: Schalke ist punktgleich mit Spitzenreiter Werder. Doch das erste Amtsjahr des "netten Herrn" war vor allem eine Zeit der unflätigen Anbrandungen.
Vor genau einem Jahr stand Mirko Slomka auf der A2 hinter einem umgekippten Gülle-Transporter im Stau. Auch ansonsten stank dem mittlerweile 39-Jährigen auf der Fahrt zur Geschäftsstelle von Fußball-Bundesligist Schalke 04 nach einem geheimnisvollen Anruf von Teammanager Andreas Müller die Situation. `Ich dachte, ich würde entlassen´, beschreibt der inzwischen 39-Jährige seine Gemütsverfassung vor der Beförderung bei den Königsblauen vom bisherigen Co-Trainer zum Nachfolger des einen Monat zuvor gefeuerten Chefcoaches Ralf Rangnick. Zwölf Monate nach dem unverhofften Karrieresprung in der Nacht zum 4. Januar 2006 strahlt der Trainer des Bundesliga-Zweiten deutlich mehr Selbstbewusstsein aus. `Es ist schön zu spüren, dass mir inzwischen von allen Stellen im Verein, insbesondere von der Führung, absolutes Vertrauen entgegengebracht wird. Das war nicht immer so, denn dieses eine Jahr war geprägt von dem ständigen Ringen um Akzeptanz. Bei der Mannschaft war aber der Respekt schon nach wenigen Tagen da´, sagt Slomka heute. Obwohl er gleich mit einer Erfolgsserie startete und sogar den besten Bundesliga-Start aller Schalker Trainer hinlegte, wurde der Fußball-Lehrer immer wieder seitens der Medien in Frage gestellt. Als Slomka in der laufenden Saison mit der ambitionierten Mannschaft nacheinander aus UEFA-Cup und DFB-Pokal ausschied, brachte vor allem der Boulevard Christoph Daum als möglichen neuen starken Mann auf Schalke in Stellung. Die Verantwortlichen allerdings handelten auch in dieser Phase gegen den Trend und stärkten dem angezählten Trainer-Nobody demonstrativ den Rücken. Mittlerweile ist die Verlängerung seines zum 30. Juni auslaufenden Vertrages nur noch eine Frage der Zeit. Am Saisonende wäre Slomka damit länger im Amt als seine weitaus prominenteren Vorgänger Rangnick und Jupp Heynckes.
Gerade aus der womöglich heikelsten Phase seiner Amtszeit ging Slomka als Gewinner hervor. Eine Auseinandersetzung mit dem für eine Partie suspendierten Publikumsliebling Gerald Asamoah überstand er ebenso unbeschadet wie die Degradierung von Stammtorhüter Frank Rost, dem der Coach den jungen Manuel Neuer ausgerechnet vor dem richtungsweisenden Gipfeltreffen mit Meister Bayern München vor die Nase setzte. `Die Situation vor diesem Spiel war für die weitere Entwicklung in der Hinserie äußerst wichtig. Dabei vor allem der offene Brief, den die Fans an uns geschrieben haben. Den habe ich der Mannschaft komplett vorgelesen. Da ist ein Prozess in Gang gesetzt worden, der bei den Spielern etwas freigesetzt hat´, blickt Slomka auch auf seinen eigenen Reifeprozess zurück: `Der Moment nach dem Tor durch Lewan Kobiashvili zum 2:0, nachdem uns die Anhänger vorher ihre Unterstützung entzogen hatten, war ein Schlüsselerlebnis für alle Beteiligten. Da ging ein Ruck durch Mannschaft und Trainer- wie Betreuerstab. Das war Aufbruchstimmung pur und sicher der schönste Moment in dem zurückliegenden Jahr, in dem es für mich auch schlaflose Nächte gab.´
Weil das vorher anscheinend zerstrittene Team sich endlich als Einheit präsentierte und aus der Krise befreien konnte, darf sich Schalke vor Beginn der Rückrunde durchaus Hoffnungen auf die erste Meisterschaft seit fast 50 Jahren machen. Punktgleich mit Spitzenreiter Werder Bremen in Lauerstellung, würde sich der vor einem Jahr noch unbekannte Slomka im fußball-verrückten Gelsenkirchen mit dem Titelgewinn nahezu unsterblich machen.
Heiko Buschmann/11Freunde-Redaktion