Max Merkels "Zuckerbrot-und-Peitschen"-Mentalität konnte der interessierte Fan literarisch oder auf Schallplatte gepresst nachempfinden. "Radis" Einlagen waren hingegen live im Stadion mitzuerleben, teilweise jedenfalls. Abstiegskandidat KSC verschliss vier Trainer - um am Ende dann doch als Tabellenletzter abzuschneiden.
Sensibelchen, Wüteriche und Knochenzersäger
Auswärts lief es für Hannover 96 nicht sonderlich gut. Nach der 0:2-Niederlage beim VfB Stuttgart wusste man endlich auch warum: "Wir sind eben sensible Typen", begründete 96-Kapitän Hans Siemensmeyer die Schwäche der Roten auf fremden Plätzen. Dem stand Stuttgarts Gilbert Gress verständnislos gegenüber: "Wie kann man nur so unfair sein wie der Siemensmeyer. Er drohte mir sogar für das Rückspiel in Hannover. Und Straschitz versetzte mir nachher noch einen Tritt...", empörte er sich über das Verhalten der sensiblen, aber offenbar nicht zimperlichen Gäste. Als Verbalrüpel und gutes Beispiel dafür, dass man Fußballern und Trainern unmittelbar nach Spielschluss eine gewisse Abkühlungsphase zugestehen sollte, kann MSV-Coach Gyula Lorant herangezogen werden. "In drei Wochen in Duisburg zersägen wir euch die Knochen", hatte er den Kickern des Aufsteigers Borussia Neunkirchen nach einem Saisonvorbereitungsspiel erregt in Aussicht gestellt. Das angekündigte Massaker blieb jedoch aus, und alle Beteiligten kamen, soweit bekannt, heil davon. "König Radi", seines Zeichens exzentrischer Schlussmann im Löwenkasten, hätte im Spiel der Sechziger gegen Kaiserslautern auch eine Abkühlung oder eine Kette um das Fußgelenk gebraucht. Hatte er aber beides nicht und so ging er seinem jungen Verteidiger Hans "Jimmy Schmitt" nach einem Abwehrschnitzer ungebremst vor Wut an die Gurgel - ungeahndet durch den Schiri. Die Rote Karte gab`s durch Sechzig-Trainer Albert Sing, der Radenkovic in der Halbzeitpause auswechselte. "Ich brauche jetzt mindestens ein halbes Jahr, um ihn leistungsmäßig wieder dorthin zu bekommen, wo er vor diesem Zusammenstoß stand", sorgte sich Sing um Schmitt. Selbst das sollte nicht reichen - Schmitts dritter Bundesligaeinsatz war gleichzeitig sein letzter. Was nicht von Radis Aussetzern zu behaupten ist. Vier Monate später, beim Heimspiel gegen Köln, trieben fragwürdige Schiedsrichterentscheidungen den Temperamentsbolzen erneut über die Grenzen der Selbstbeherrschung hinaus. Nach Abpfiff entwand er dem Linienrichter dessen Fahne und übte sich im Weitwurf des Gerätes. Dann, immer noch auf Hundertachtzig, fiel ihm ein im Kabinengang, vor der Kölner Kabinentür abgestelltes, chancenloses Porzellangeschirr-Set zum Opfer. Kräftige Abschläge hatte der Radi drauf ... Beide Aktionen wurden von den Schiris im Spielbericht gnädigerweise unterschlagen. Erwähnenswert sind natürlich auch Versöhnungsgesten reuiger Sünder. So gesehen beim Spiel Aachen gegen den HSV, als sich der Uruguayer Horacio Troche mit einem Blumenstrauß bei Uwe Seeler dafür entschuldigte, dass er ihn während der 66er WM geohrfeigt hatte.
Trainerturbulenzen
Professor Paul Frantz war so etwas wie ein Supervisor beim KSC, mit super Visionen ausgestattet, was das Abschneiden seiner Schützlinge betraf. Geradezu verwegen, angesichts der bisherigen Bundesligabilanz der Badener, prognostizierte er einen fünften Platz in der Endabrechnung. Seine logisch klingende Begründung: "Wer nicht um die vorderen Plätze kämpft, wird automatisch in den Abstiegsstrudel mit hineingezogen". Und wer nicht immer vor Ort ist - wie Frantz, der auch hauptberuflich als Professor in Straßburg beschäftigt war - dem werden die Kompetenzen entzogen. Nach dem ersten Saisondrittel, als der KSC und mit ihm des Professors Prognosen am Boden lagen, degradierten die Badener Frantz vom professionellen Prof zum beratenden Beobachter und hoben den bisherigen Assistenzcoach Georg Gawliczek auf den Thron. Der hatte, etwas näher an der Realität, einen Mittelfeldplatz im Visier. Da aber diese Hoffnung ebenfalls zusehends schwand und sich stattdessen der Abstiegsabgrund in aller Schärfe abzeichnete, war auch Gawliczek nicht mehr gefragt. Einen Nachfolger für das Himmelfahrtskommando zu finden, erwies sich als ziemlich problematisch. Schließlich zwangsverpflichtete der Nordbadische Verband seinen sich sträubenden Übungsleiter Herbert Widmayer ("Ich verzichte gern zugunsten anderer auf ein dickes Trainergehalt, um mir unnötige Aufregungen zu ersparen") beim regionalen Aushängeschild helfend einzugreifen. Knappe zwei aufregende Wochen später war Widmayer erlöst, da sich der Ex-Nationalspieler Bernhard Termath den Spaß gönnte, neben den Tätigkeiten als Tankstellenbesitzer und Betreuer einer Karlsruher Amateurmannschaft auch noch die KSC-Bundesligatruppe an den letzten zehn Spieltagen zu managen. Der Rückstand war allerdings schon zu groß (acht Punkte) und der KSC zu schwach, als dass der "Berni" noch zum Helden mutieren konnte.
Insgesamt acht Mal wurden während der Saison Übungsleiter abgesetzt. Die Entlassung Günter Brockers, im September 1967 von Werder Bremen verabschiedet, machte den Anfang. Ex-Schalke-Trainer Fritz Langner übernahm die Hanseaten. Brocker konnte sich aber noch während der Hinrunde eines neuen Engagements erfreuen. Der neue Arbeitgeber: Schalke. Duisburgs Coach Gyula Lorant hingegen hätte zu gerne den Laufpass bekommen, da nach seiner Ansicht mit den Zebras nichts zu bewegen war und ihn das geringe Zuschauerinteresse störte. "Die Soldaten Hoffmann, Pflügge und Kowalski habe ich jetzt drei Wochen überhaupt nicht zu sehen bekommen", beklagte er zudem die suboptimale Personallage des Kaders. "Wir wollen das Trainerkarussell nicht links herum laufen lassen", stellte jedoch der Verein fest und beharrte auf die Vertragserfüllung bis zum Saisonende. Der Ungar hielt durch und wechselte anschließend zurück zu den Lauterern. Eine Exotenrolle im ganzen Bundesliga-Trainertrubel fiel dem Braunschweiger Helmuth Johannsen zu. Er war der einzig verbliebene Coach seit Ligagründung, der durchgehend nur bei einem Verein, eben der Braunschweiger Eintracht, unter Vertrag stand.
Meistermacher Merkel
Unbestrittener Star innerhalb der Trainergilde war jedoch Max Merkel, nachdem er zum zweiten Mal (1966 mit 1860 München) den Titelgewinn eingeheimst hatte. Besondere diplomatische Fähigkeiten waren dem Österreicher nie nachgesagt worden, und auch bei den Franken, die er in dieser Saison erstmals vom Start weg betreute, zog er die Zügel in gewohnter Manier an. Linksaußen Georg Volkert durfte wegen "Disziplinwidrigkeiten gegenüber Trainer Merkel" von seinem August-Einkommen mal eben 1.000 Mark Strafe abzweigen. Merkels Schleifer-Image wurde ebenfalls neu genährt: "Ich dachte manchmal, das halte ich nicht durch", erinnerte sich Franz Brungs mit Grausen an die knochenharte Saisonvorbereitung. Wer nicht mitzog fand keine Gnade in den Augen des Zampanos. Sein Landsmann August "Gustl" Starek, bekam die Verbalkeule übergezogen. Merkel-Kommentar zum Saisonende: "Als er zu uns kam, sagte er mir folgendes: ‚Trainer, ich hab´ in Wien eine große Schachtel; wenn ich einmal von Nürnberg wieder weg gehe, muss sie voller Scheine sein!´ Ich kenne allerdings keinen Spieler, der für´s Rumstehen auch noch Geld kassieren kann." In der folgenden Saison "stand" Starek nicht mehr für den Club herum. Das Schachtelfüllen übernahm dann der FC Bayern. Merkels eigene Schatulle dürfte, getreu seinem Motto "Harte Arbeit trägt Früchte, und wo Großes geleistet wird, gibt`s großes Geld", ebenfalls mit einer gesunden Erdhaftung ausgestattet gewesen sein. Das nicht geringe Trainer-Honorar (beim Antritt in Nürnberg erhielt er außergewöhnliche 11.000 Mark Monatsgehalt) besserte er nach dem Titelerfolg noch mit Publikationen auf. Die Autobiographie "Mit Zuckerbrot und Peitsche" erfreute sich großer Popularität. Merkels Fußball-Fachwissen wurde auch auf Vinyl gepresst. Wer wollte konnte sich von der "Erfolg im Fußball" betitelten LP, auf der auch Funk- und Fernsehjournalist Oskar Klose mit Reportagen mitmischte, akustisch Tipps vom Meistermacher zu Gemüte führen.
André Schulin
Bundesliga Chronik
Die Stars von heute benehmen sich wie die Schauspieler: Von dem Wort ‚Engagement‘ mögen die nur das Mittelstück: Gage.
— Marcel Reif