Saison 1969/70: Aufgalopp der Fohlen (Teil I)

von Günther Jakobsen15:40 Uhr | 11.07.2009

Deutschlands Fußball-Westen sorgte für Schlagzeilen. Essen und Oberhausen erhöhten das Kontingent aus der Mitte der Republik auf acht Klubs; was durch Aachens unerwarteten Abstieg allerdings wieder eine Reduktion erfuhr. Borussia Mönchengladbach hatte sich optimal verstärkt und war im Titelkampf nicht zu stoppen. Schalke wurde plastisch verdeutlicht, dass Spiele beim Dortmunder Erzrivalen eine bissige Angelegenheit sein können ...

Was Neues aus dem Westen
Die rot-weißen Westklubs dominierten die Aufstiegsrunden: In Gruppe 1 war es die Mannschaft aus Oberhausen, die sich in die Bundesliga durchkämpfte. Der Zweitplatzierte der Regionalliga West, das bis zum Abschluss der Punktserie von Kuno Klötzer trainierte Team aus Essen, zeigte den Konkurrenten aus der Gruppe 2 die Hacken. Da Klötzer sich mit dem Wechsel zum 1. FC Nürnberg schon vorab einen Bundesligajob gesichert hatte, coachte Willi Vordenbäumen RWE in den Aufstiegsspielen. In der Bundesliga übernahm Herbert Burdenski die Leitung. Von Beginn an lief es wie geschmiert für die Rot-Weißen von der Hafenstraße. Bereits zwei Runden vor Abschluss der Gruppenspiele war der Wiederaufstieg in trockenen Tüchern. Zuvor hatte noch keine Mannschaft die Bundesliga-Aufstiegsrunde ohne Niederlage überstanden - RW Essen (sechs Siege, zwei Remis) machte es möglich. Osnabrück, der Karlsruher SC, Tasmania Berlin und der TuS Neuendorf hatten den torhungrigen Essener Angreifern (28 Treffer/davon Lippens 11, Littek 5, Fürhoff 4) nichts entgegenzusetzen. Westmeister Rot-Weiß Oberhausen tat sich wesentlich schwerer. Hertha Zehlendorf und der enttäuschende VfB Lübeck hatten mit der Entscheidung um den Sieg in Gruppe 1 nichts zu tun, wohl aber der SV Alsenborn und der Freiburger FC. Die letzte Runde führte die beiden punktgleich führenden Mannschaften aus Oberhausen und Freiburg direkt zusammen; Alsenborn verpatzte den möglichen Aufstieg durch eine 0:3-Niederlage bei Hertha Zehlendorf. "Die Freiburger waren jede Minute für ein Tor gut", gab RWO-Coach Adi Preißler zu, der das dramatische Finale um den Aufstieg angespannt mit verfolgte. 0:0 hieß es nach 90 kampfbetonten Minuten - und das genügte Oberhausen, das den besseren Torquotienten auf seiner Seite wusste.

Winterpausen-Omen
Nicht wenige Experten trauten dem FC Bayern München zu, als erster Klub den Titel verteidigen zu können. Das war bislang noch Keinem gelungen, und das erschreckende Beispiel des 1. FC Nürnberg, der im Jahr zuvor als amtierender Meister abgestiegen war, haftete noch frisch in Erinnerung. Doch Bayern war wesentlich straffer organisiert als der Club und hatte keinen sportlichen Aderlass zu beklagen. Aus der Stammelf war lediglich Rainer Ohlhauser (Grasshoppers Zürich) ausgeschieden. Mit einem guten Start setzte sich das Zebec-Team gleich in der Spitzengruppe fest und belegte in der Hinrunde sechs Mal die Spitzenposition. Jedoch nicht am 17. Spieltag; bei Halbzeit. Ein weiteres "Gesetz der Serie" sprach nun gegen die Bayern: In allen sechs vorangegangenen Bundesligasaisons wurde derjenige Klub Meister, der sich die inoffizielle Herbstmeisterschaft gesichert hatte - und das war im Dezember 1969 der VfL Borussia Mönchengladbach. Unter besonderer Bedrohung der Gesetzmäßigkeiten standen nach halber Distanz Alemannia Aachen, immerhin damaliger Vizemeister, und der TSV 1860 München, der Titelträger von 1966 - auf den Abstiegsplätzen kauernd. In 9 von 13 Fällen war das in den Jahren zuvor gleichbedeutend mit dem Abschied von der Erstklassigkeit bei Saisonschluss.

Was man im Dezember 1969 nicht ahnte, war, dass der zu diesem Zeitpunkt schon harte und schneereiche Winter sich anschickte, zu einem Rekordwinter auszuwachsen. Der eng abgesteckte Terminplan - im Juni 1970 begann die WM in Mexiko und die Nationalelf sollte zuvor ein mehrwöchiges Trainingslager beziehen - geriet aufgrund der zahlreichen Spielverlegungen völlig aus den Fugen. Umfangreiche Diskussionen bezüglich eines grundsätzlich mit mehr Sommerspielen versehenen Spielplans, überdachten Stadien und Rasenheizungen entbrannten. Als Sofortmaßnahme entschied man sich, noch ausstehende Runden des DFB-Pokals nach der WM zu spielen, um Termine für die Bundesligaspiele freizuschaufeln.


Kontroverse Diskussionen
Harte Jungs
Der Winter war hart - einige Bundesliga-Profis aber auch. "Wir sind wohl die körperlich stärkste Truppe der Bundesliga. Da kommt es dann sehr häufig vor, dass der Gegner beim Zusammenprall liegen bleibt, ohne dass wir wirklich unfair gespielt haben", brach Werder-Routinier Arnold "Pico" Schütz in der Frühphase der Saison eine Lanze für sein Team, das vor allem aufgrund seiner resoluten Abwehrrecken bei der Konkurrenz gefürchtet war. In Stuttgart beurteilte man die Sache ganz anders, wetterte gegen die Gäste, nachdem Kapitän Theodor Hoffmann und Spielmacher Horst Haug beim Auftaktspiel gegen die Bremer verletzt vom Platz mussten. Doch die Hanseaten konnten nicht nur austeilen. "Die Knochenhaut ist beschädigt, dazu kommt ein schwerer Bluterguss", diagnostizierte Werders Vereinsarzt Dr. Böhmert bei Verteidiger Horst-Dieter Höttges in der Halbzeit des Spiels gegen Köln. "Ich kann jetzt nicht ausscheiden", weigerte sich Höttges, ausgewechselt zu werden. Erst nachdem der 0:1-Rückstand in eine 2:1-Führung umgebogen war, ließ sich der "Eisenfuß" von einem Kollegen vertreten. Als Dickschädel in des Wortes doppeltem Sinn erwies sich Hannovers Stürmer Hans Siemensmeyer im Match gegen den Hamburger SV. "Der bärenstarke Nogly bohrte seinen Schädel in den Hinterkopf Hansis. Siemensmeyer fiel wie ein knock-out geschlagener Boxer um. Er torkelte, aber er wollte trotz glasiger Augen unbedingt weiterspielen", schilderte der entsetzte 96-Coach Hans Pilz (Nachfolger Cajkovskis) die Szene aus der 32. Minute. "Ich konnte mich in der Pause überhaupt nicht erinnern", bestätigte Siemensmeyer im Nachhinein, dass die erlittene Gehirnerschütterung massive Gedächtnislücken bei ihm hinterlassen hatte. Trotzdem spielte er durch. Schmerzen verspürten die Kicker von Hertha BSC schon vor dem Saisonstart. "Wir werden hart rangenommen. Manchmal geht es sogar härter zu, als ich es unter Merkel in München erlebte. In den zehn Tagen des Trainingslagers in der Lüneburger Heide verlor ich drei Kilo …", wunderte sich Neuzugang Bernd Patzke über die schweißtreibende Gangart unter dem Berliner Trainer Helmut Kronsbein. "Wenn Bernd jammert, zu viel abgenommen zu haben, kann ich nur sagen, dass er bis heute diese Pfunde zu viel hatte", konterte "Fiffi" Kronsbein trocken.

André Schulin



Ich sehe nicht die Gefahr, dass die Schiedsrichter durch das mehrfache Bücken im Spiel einen Hexenschuss kriegen.

— DFB-Präsident Wolfgang Niersbach über die mögliche Einführung des Freistoß-Sprays in der Bundesliga