Udo Latteks Mammut-Programm in der Saisonvorbereitung zahlte sich aus. Mit deutlichem Vorsprung verteidigten die Bayern ihren Meisterschaftstitel. Die größte Überraschung im Verfolgerfeld stellte Liganeuling Wuppertal dar. Politik-Novize Horst-Dieter Höttges verbrannte sich auf dem ungewohnten Terrain die Finger.
Zweitliga-Durchbruch dank Neuberger
Seit fast einem Jahrzehnt debattierte der DFB über die Installation einer Zweiten Liga. Ziel dieses Unterbaues sollte es sein, die Anzahl der Klubs im bezahlten Fußball zu verringern. Neben den Berufsfußballern der Bundesliga wurden die Kicker aus den fünf Regionalligen als Vertragsspieler geführt - mit erheblich differierenden Einkommensmöglichkeiten. Zwischen 2.000 und 6.000 Mark konnte mittlerweile ein Bundesligakicker monatlich einstreichen; den Vertragsspieler erwartete ein Salär das sich zwischen 50,- und 350,- Mark bewegte - soviel kassierte manch ein Amateur. Regelmäßig hatten die DFB-Delegierten in der Vergangenheit mehrheitlich die Zweitliga-Anträge abgeschmettert, u. a. mit der Begründung, auf diese Weise würde neben den Beteiligten aus Bundesliga und den fünf Regionalligen noch zusätzliche bezahlte Klubs aufgebaut. Außerdem waren etliche Vertreter aus den Landesverbänden nicht sonderlich davon angetan, in ihrer Bedeutung auf eine Drittklassigkeit heruntergestuft zu werden. DFB-Vizepräsident Hermann Neuberger gelang mit seinem Vorschlag der Durchbruch. Er bot eine zweigleisige Zweite Liga an (Nord und Süd), in der Vollprofis spielen sollten. Der Vertragsspieler-Status sollte völlig gekippt und die Regionalligen zur höchsten Amateurklasse erklärt werden. Die Verwaltung der Zweiten Liga sollte zudem den Funktionären aus den Regionalverbänden zugesprochen werden. Neubergers Ausarbeitung fiel auf fruchtbaren Boden: Im August 1974 nahm die lange Jahre umkämpfte Zweite Bundesliga ihren Spielbetrieb auf.
Eisenfuß auf Abwegen
Einen doppelten Tiefschlag hatte Werders „Eisenfuß“ Horst-Dieter Höttges am Saisonbeginn zu verdauen. Zum einen wurde das Vertrauen des etatmäßigen Bremer Elfmeterschützen erschüttert, als er im Auftaktspiel gegen Offenbach (0:0) einen Strafstoß am Tor vorbei semmelte. „Die Verantwortung ist mir einfach zu groß“, lehnte der genervte Abwehrrecke daraufhin die Ausführung künftiger Strafstöße kategorisch ab. Politische Verantwortung war Höttges hingegen bereit zu übernehmen und ließ sich als CDU-Ratsherren-Kandidat in seinem 30.000-Seelen-Wohnort Achim nominieren. Die Ausbeute von 28 Wählerstimmen kam einem Fehlschuss auch auf diesem Terrain verdächtig nahe. Immerhin: Sportlich kriegte der „Eisenfuß“ die Kurve. Am letzten Spieltag (gegen Bochum) war wieder ein Werder-Elfer fällig. Höttges fasste sich ein Herz plus den Ball und hämmerte das Leder in die Maschen. Erneute politische Vorstöße seinerseits sind nicht bekannt. Apropos Politik: Frei nach dem Motto: „Was schert mich mein dummer Schnack von gestern?“ (oder war es Kalkül?) vollzog Bochums Trainer Heinz Höher eine steile Kehrtwende. Im Februar `73 kündigte er seinen Arbeitsvertrag, der sich ansonsten um ein Jahr verlängert hätte. Nach ergebnislosen Verhandlungen mit dem HSV unterschrieb Höher dann knapp zwei Monate nach seiner Kündigung einen neuen Einjahres-Kontrakt - natürlich wieder beim VfL Bochum. Gleichfalls im Frühjahr 1973 konnte per Statistik belegt werden, wie viele ausländische Spieler in den ersten zehn Jahren der Bundesliga verpflichtet worden waren: 83 „Gastarbeiter“, aus 20 Nationen. Auf die meisten Einsätze in dieser Dekade brachten es der Niederländer Heinz van Haaren (249, Meidericher SV, FC Schalke), der Jugoslawe Petar Radenkovic (215, TSV 1860 München) und der Österreicher Wilhelm Huberts (213, Eintracht Frankfurt). In der Saison 1972/73 zählte der Däne Johnny Hansen (wie 16 weitere Spieler) als Muster an Beständigkeit zu den Akteuren, die kein Punktspiel verpassten. Mit dem FC Bayern brachte er zudem das Kunststück fertig, nicht nur eine positive Heimbilanz sondern auch in der Auswärtsstatistik ein Plus herauszuspielen.
Die Spitze der Liga
Bayern-Coach Udo Lattek hatte keine Veranlassung zu großen Experimenten. Er präferierte eine Stammformation, der ein souveräner Start- Zieleinlauf gelang. 13 Spieler kamen dabei auf Einsatzzahlen im zweistelligen Bereich. Seinem Kader hatte Bayerns Trainer in der Vorbereitungsphase einiges zugemutet: 21 Spiele innerhalb von nur 36 Tagen! Und die Ergebnisse waren seinerzeit recht durchwachsen. “Der sportliche Wert stand nicht an erster Stelle des Programms”, beeilte sich Lattek zu betonen - die 45 Gegentore bedurften schließlich einer Erklärung. In der Meisterschaft ließen die Bayern nur 29 gegnerische Treffer zu. Einen Neuling gab es aber doch im Bayern-Ensemble, der sich sofort in die Stammelf spielte und dort 13 Jahre lang, meist unauffällig, aber sehr mannschaftsdienlich, seinen Platz behauptete: Bernd Dürnberger. Mit erheblichem Rückstand zum Titelverteidiger setzte sich ein Quartett aus dem Westen der Republik im oberen Tabellenbereich fest: Angeführt vom 1. FC Köln, vor Fortuna Düsseldorf, dem Wuppertaler SV sowie den Gladbacher Borussen. Kleinere Handicaps auf dem Weg zum Erfolg wurden locker weggesteckt, wie etwa die Flugangst von WSV-Stürmer Günter Pröpper. Er fuhr bei Auswärtsspielen seinen Kollegen einfach im Gerätewagen hinterher und trug mit seinen 21 Toren maßgeblich dazu bei, dass die Saison-Vorhersage seines Trainers Horst Buhtz („Im Grundprinzip haben wir keine Sorgen, denn von der Besetzung der Mannschaft her müssten wir eigentlich einen Mittelfeldplatz schaffen können“) beachtlich übertroffen wurde. Die Kölner standen knapp davor, zwei Punkte am Grünen Tisch zu verlieren. Der genesene Wolfgang Weber stand beim Spiel gegen Schalke schon einsatzbereit am Spielfeldrand, um Cullmann abzulösen und sein Comeback zu feiern. In letzter Sekunde fiel Trainer Rudi Schlott jedoch auf, dass der zuvor wochenlang fehlende Weber überhaupt nicht auf der Spielermeldeliste stand - Kölns 3:0-Sieg hätte aufgrund dieses Formfehlers auf wackeligem Fundament gestanden. Borussia Mönchengladbach vermeldete zwar eine erfreuliche wirtschaftliche Situation (Rekordeinnahme im Geschäftsjahr 1971/72: 4.657.000 Mark) und gewann das Rennen um den dänischen Rechtsaußen Allan Simonsen, der im November noch mit einem Wechsel zum Hamburger SV liebäugelte. Doch in den Titelkampf konnten die letztmalig mit Mittelfeldstar Günter Netzer (wechselte zu Real Madrid) antretenden “Fohlen” nicht eingreifen und mussten sich mit Platz 5 begnügen.
André Schulin
Bundesliga Chronik
Adduktoren! Wenn ich das schon höre! So was gab es bei uns noch gar nicht, die wurden erst nach meiner Zeit erfunden.
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