Schlimmer als Lyon

von Günther Jakobsen08:57 Uhr | 08.03.2006

Wie schon im Hinspiel zeigte Bremen eine Klasseleistung und war auch in Turin phasenweise die bessere Mannschaft. Werder zermürbte Juves Weltauswahl mit wachem Stellungsspiel, permanent schnappender Abseitsfalle und einem unbezwingbaren Torwart. Kurz vor Schluss aber patzte Tim Wiese, und Werder schied auf die denkbar bitterste Weise aus.

Auch Naldo und Frank Baumann waren rechtzeitig fit geworden, so dass Thomas Schaaf die gleiche Elf aufbieten konnte wie im Hinspiel. Fabio Capello hatte sich für neue Außenverteidiger entschieden und wollte das Spiel zunächst ruhig angehen lassen. Doch Werder ließ sich nicht einlullen, sondern hielt den Ball kompromisslos vom eigenen Strafraum fern und suchte selbst die Offensive. Tatsächlich gelang so die sensationelle Führung. Nach einer schönen Kombination mit Klasnic spielte Christian Schulz einen Butterpass auf Micoud, der dadurch völlig frei vor Buffon stand und kaltschnäuzig einlochte (13.). Damit war Juves 1:0-Taktik über den Haufen geworden. Die Alte Dame war mächtig geschockt und fand bis Ende der ersten Halbzeit überhaupt nicht ins Spiel. Ein Missverständnis zwischen Schulz und Wiese hätte fast zum Ausgleich geführt, aber grundsätzlich fielen die Juve-Stürmer ausschließlich durch Abseitsstellungen auf. Dann aber verschärften die Italiener das Tempo und schnürten Werder noch mal ein. Aus 16 Metern feuerte Nedved ein Geschoss auf Wiese ab, doch der Mann in Rosa parierte nicht nur prächtig, sondern warf sich auch noch in Weltklassemanier in Emersons Nachschuss (44.).

Lange vor den Bremern standen Juves Spieler wieder auf dem Rasen und scharrten mit den Hufen. Nedved, Trezeguet und Ibrahimovic kamen nacheinander zu gefährlichen Aktionen, aber entweder ein Abwehrbein, Wiese oder pures Glück halfen Werder über die Runden. Zwei kleinere Chancen durch Klasnic (51.) und Borowski (55.) verschafften Grün-Orange etwas Luft. Doch als Capello Mutu und Del Piero von der Kette ließ, stand der Bundesligist bald nur noch hinten drin. Der Ausgleich fiel ausgerechnet nach einem Bremer Eckball, als die Gästeabwehr zu naiv aufgerückt war und den schnellen Nedved nicht mehr einfangen konnte. Wie auf Schienen brauste der Tscheche auf Wiese zu und überließ das Leder dem Kollegen Trezeguet, der unhaltbar aus elf Metern ins lange Eck traf (65.). Nun wurde es die erwartete Abwehrschlacht, denn die Furie Turin war entfesselt und stürmte mit aller Gewalt auf die Gäste ein. Werder aber reagierte besonnen und stand relativ sicher. Die Viererkette war hochkonzentriert und stellte Juve immer wieder fleißig ins Abseits, was den hadernden Gastgebern sichtlich auf die Nerven ging. Es schien, als hätten die Deutschen die bessere Kondition. Werder überstand den kurzen Ansturm und kam langsam wieder zu befreienden Gegenangriffen. Als Bremen die Minuten schon herunterzählte, passierte dann das große Unglück. Tim Wiese sprang in eine harmlose Flanke, pflückte den Ball aus der Luft und wollte sich lässig abrollen. Doch dabei rutschte ihm die Kugel aus der Umklammerung und tropfte frei auf den Boden. Emerson hatte schon abgedreht, hielt aber auf Zuruf noch mal den Fuß hin und tickte den Ball aus zwölf Metern ins leere Tor (88.). Nicht nur Wiese, die ganze Mannschaft war fassungslos und brachte ihrerseits auch nicht mehr die Kraft für einen Gegenangriff auf. Werder verlor 1:2 und schied trotz 3:2-Hinspielsiegs aus. Nicht Juves knapper Sieg war unverdient, aber die Art und Weise, denn Bremen hatte alles in die Waagschale geworfen, hatte drei der vier Halbzeiten gegen den italienischen Rekordmeister überlegen geführt – und schied durch einen Fehler in der 88. Minute aus, den auch noch der bis dahin beste Mann auf dem Platz begangen hatte. Kreidebleich und wachsweich schlurften die Bremer vom Platz. Diese Niederlage, darin bestand Einigkeit, war sogar noch eine Spur bitterer als das 2:7-Debakel von Lyon.

Maik Großmann



Ich war wohl zu lange im Trainingslager.

— Münchens Thorsten Fink, nachdem er Lauterns Youri Djorkaeff auf den Mund küsste