Die Fanzonen in Basel und Zürich laufen am Rande eines Defizits. In Genf ist die Fanzone im Zentrum gut besucht, die etwas außerhalb gelegenen bleiben hingegen leer, obwohl Genfs größte ausländische Bevölkerungsgruppe mit über 80.000 Portugiesen die Hoffnung aufkommen ließ, dass die Straßen durch die Supporter ausgefüllt würden. Dem ist nicht so. Nur in Bern ist man glücklich. Ja man stößt mit den 150.000 Oranjefans sogar an die Kapazitätsgrenzen. Gut 60.000 stammen effektiv aus Holland. Und die anderen?
Was ist los mit den Schweizer Fans? Bereits liest man anstrengende Artikel über die fehlende Leidenschaft, wie denjenigen von Simon Kuper in der Weltwoche, einem mühsamen, mittlerweile völlig in den rechtslastigen Neoliberalismus abgerutschten Blatt. Man bemüht Klischees über vermeintliche Mentalitätsdefizite und nordischer Gefühlsunterkühlung. Nordisch? Haben vor zwei Jahren unsere nördlichen Nachbarn nicht bewiesen, dass überschwängliche Festfreude und Leidenschaft keine Frage des Breitengrades ist? Aber woran liegt es dann? Zwei Thesen dazu: 1. Die Schweiz ist keine Fußballnation. 2. Gerade die Angst vor fehlender Euphorie hat diese gelähmt.
Die Schweiz ist keine Fußballnation. Einzig der FC Basel hatte über 23.000 Zuschauer pro Spiel. Die Young Boys aus der Eishockeystadt Bern (Zuschauer beim SC Bern über 15.000), der FC Zürich und auch der FC Sion (mit 30.000 Einwohnern) hatten zwischen 10.000 und 16.000 Zuschauer. Alle anderen Vereine blieben unter 10.000. Dazu gehört auch Rekordmeister Grasshopper Club Zürich, der zeitweise nur 2.000 Zuschauer ins Stadion zu locken vermochte. Trotzdem werden allenthalben neue Stadien gebaut. Basel, Genf, Bern, Neuenburg, Sankt Gallen und der Letzigrund in Zürich stehen schon. Der Zürcher Hardturm ist im Bau und in Aarau, Sion und Thun gibt es fortgeschrittene Projekte. Genf, Neuenburg und Sankt Gallen feierten die Eröffnung nicht in der obersten Spielklasse. Thun droht dasselbe. Hinter den Stadionprojekten stehen in erster Linie Marktinteressen der so genannten „Mantelnutzung“. Das Niveau der Schweizer Super League ist tief. Kaum je kann sich eine eidgenössische Mannschaft in einem Europäischen Wettbewerb über die Qualifikationsphase hinaus vorkämpfen. Nur sieben von 23 Nationalspielern spielen in der Schweiz. Ohne Verletzungen wären es fünf. Kaum ein Spieler einer anderen Nationalmannschaft, außer etwa dem Schweden Daniel Majstorovic vom FC Basel, spielt in der Schweiz. Das Tempo und die Klasse der Einzelspieler in der Super League sind nur in Ausnahmefällen international konkurrenzfähig. Das gilt auch für unsere Nationalmannschaft. Bis zum 2:0 über Portugal wurde noch nie ein Endrundenspiel einer Europameisterschaft gewonnen. Tore wurden dabei vor 2008 erst zwei erzielt. Ein Elfmeter von Türkilmaz (1996) und ein Treffer aus dem Spiel von Vonlanthen (2004). Dazu kommt noch die Unfähigkeit des Schweizerischen Fußballverbandes, die wirklichen Ausnahmekönner rechtzeitig zu erkennen und an sich zu binden. Nicht nur Oliver Neuville, auch Mladen Petric und Ivan Rakitic hätten sich auch für die Schweiz entscheiden können.
Die Angst vor fehlender Euphorie lähmt, denn die Rezepte dagegen sind falsch. Gefühle lassen sich nicht erzwingen und auch nicht erkaufen. Seit die 1910 entstandene „YB-Viertelstunde“ ab 2004 durch einen Sponsor präsentiert wird, vergeht den Fans die Lust auf das Mitsingen. Auch die unsäglichen Fähnchen, welche eine Schweizer Großbank bei Heimspielen auf jeden Sitz legen lässt, wirken wie hilflose Versuche, den Leuten ein Mittel zu geben, ihre in Abrede gestellte Freude auszudrücken. Wie soll das gehen? Fähnchenschwenken auf Kommando?! „Anheizer“ in der Vorrunde war der Stadionspeaker Dagobert Gahannes. Ein Urgestein schweizerischer Sportmoderation im Folkorebereich, etwa bei eidgenössischen Schwingfesten, und nicht gerade ein Symbol überschwänglicher Gefühlsausbrüche. Mit seinen „und nun wollen wir alle…“, oder „bitte unterlassen sie doch…“ verdirbt er auch den hartgesottensten Fans die Lust an der Freude. Ins gleiche Horn bläst auch der SFV mit der Aktion „Fahnen für die Schweiz“. Alle Gemeinden erhielten einen Brief, in dem sie aufgefordert wurden, die Häuser mit Fahnen zu schmücken. Das erzeugt verständlicherweise einen Antireflex. Die Schweizer Fankultur ist klein. Aber wenn man sie in Ruhe lassen würde, könnte sie wachsen. Ein probateres Mittel wäre vielleicht die Reduktion der rund 38% Plätze für Sponsoren und VIPs. Die Schweizer können aus sich heraus kommen, aber nicht, wenn sie ein Großkonzern dazu auffordert und leider auch noch nicht, wenn es um Fußball geht. Das Problem ist nicht die Mentalität, sondern die Fehleinschätzung auf den Teppichetagen. Man kann es förmlich riechen, das „sei spontan, komm aus dir heraus und lass vor allem viel Geld dafür liegen!“ „Man fühlt die Absicht, und man ist verstimmt“ – diesen Grundzug menschlichen Verhaltens hatte schon Goethe erkannt.
Andreas Beck, Bern
Ich glaube nicht, dass er jetzert jedes Spiel machen will.
— Mario Basler über Franck Ribéry beim FC Bayern...