Die Holländer sind zurück in ihrem flachen Land und endlich geben die Wolken einen überwältigenden Blick auf unsere Berge frei. Vielleicht sehen die Oranjes die Alpen ja beim nächsten Besuch. Jedenfalls hat man sich in ganzseitigen Inseraten gegenseitig bedankt und versprach den Kontakt zu halten. Unvergessen werden uns die Bilder bleiben vom friedlichen Volk aus dem Norden, das den Käse genauso liebt wie wir, das unsere Hauptstadt in eine einzige Festzone verwandelt hat und das uns mit seiner Begeisterung für seine Elftal angesteckt hat wie die Windpocken.
Wir wurden mehr als nur angesteckt. Tausende Bernerinnen und Berner haben sich in den Läden um orangefarbene T-Shirts gestritten und so ihre Sympathien kundgetan. Man konnte Berner Sportjournalisten beobachten, welche in Oranjefanmontur durch eine Gruppe von Franzosen marschiert sind und dazu "Le Coq est mort" (der Hahn ist tot!) gesungen haben. 90.000 der rund 150.000 Oranjes können außer "Hup Holland" kein Holländisch und haben einen Schweizer Pass. Aber warum? Woher kommt der Wankelmut der hiesigen Fans?
Früher waren wir für die Italiener. 600.000 von ihnen lebten einst in der Schweiz, haben unsere Verkehrsverbindungen (Gotthardtunnel!) und unsere Staumauern gebaut und damit den wirtschaftlichen Aufschwung der Schweiz erst ermöglicht. Sie lebten unter widrigsten Bedingungen und sahen sich konfrontiert mit einer schlimmen Form von Fremdenhass. Das ist lange her! Nun leben noch 200.000 Italiener bei uns, aber nicht, weil die anderen wieder zurückgegangen wären, nein, weil diese nun selber Schweizer geworden sind. Teilweise die besseren Schweizer als wir selber, Secondos eben, deren Eltern immer noch auf eine Entschuldigung oder einen Dank warten. Egal: in Sachen Fußball sind wir eher Azzurri als Schweizer. Oder wir waren es jedenfalls. Nun sind wir Oranjes! Vielleicht sind wir nach der EURO Fans der Jogi-Elf!
Der Wankelmut ist nicht nur eine Eigenschaft der Schweizer Fans. Sie passt auch gut auf den Platz! Kaum eine Mannschaft, die nicht einen eingebürgerten Brasilianer oder Argentinier in ihren Reihen wüsste. Hakan Yakin zögert vor dem Tor gegen das Land seiner Mutter - aus Respekt! Poldi jubelt verhalten gegen sein Geburtsland - aus Respekt! Inler fühlt sich als Türke, der in der Schweiz aufgewachsen ist - er spielt für die Schweiz! Berti Vogts sagt, dass Kroatien aus dem Turnier flog, weil zwei "Schweizer" einen Elfmeter getreten hätten. Johann Vonlanthen, einer der drei Schweizer EM-Torschützen, war lange hin und her gerissen zwischen Kolumbien und der Schweiz. Auch Klose, und, und, und… Nur Hiddink freut sich, wenn seine Russen sein Heimatland nach Hause schicken! Warum: Weil er Trainer der Russen ist und nicht der Holländer! Wie erfrischend! Endlich einer der diesen Respekt-vor-den-Wurzeln-Schwachsinn nicht unterstützt.
Fan zu sein ist ohnehin etwas Abstraktes. Man unterstützt mit seinem Club ein wandelbares Konstrukt, dass jede Saison völlig anders aussieht. Manchmal spielt plötzlich der Erzrivale in den geliebten Clubfarben, und schon lieben wir ihn, um ihn nach der Kündigung einige Zeit später wieder zu hassen. Bei den Nationalteams ist das nicht anders! Die Russen werden mit holländischem Fußball weit kommen, und die Franzosen mussten aus Altersgründen Abschied nehmen von ihrem brasilianischen Stil. Im Grunde ist der Wankelmut der Schweizer Fußballfans die ehrlichste Form der Unterstützung. Ändern wird sich das vermutlich erst, wenn wir einen Titel geholt haben. Und das tun wir bald! 2010 holt Hitzfeld mit unseren Secondos die Weltmeisterschaft in Südafrika mit deutschem Fußball. Für uns ist Ottmar ohnehin mehr Schweizer als Deutscher. Genau wie Netzer und Löw! Und 2012 besiegen wir im Final der EURO die Ukraine im Elfmeterschießen dank unserer türkischen Abgebrühtheit. Aber aufgepasst: auch Poldi und Klose werden keine Hemmungen mehr haben - sie spielen dann ja zu Hause! Petric hingegen wird dank unserer Defensive keinen Ball sehen, mit Kroatien bereits im Viertelfinale an uns scheitern und sich die Haare raufen. Und wenn unsere Abwehr ihn nicht in den Griff kriegt, soll er Tore schießen, soviel er will. Dann ist uns nämlich egal, ob er nun mehr Schweizer oder mehr Kroate ist. Dann ist er nur noch Gegner, und zwar einer der vielen, die uns überlegen sind – leider!
Andreas Beck
Wenn ich mir den Wayne Rooney so ansehe, würde ich mir an Paul Gascoignes Stelle noch mal meine Frauenbekanntschaften vor 19 Jahren anschauen.
— Hans Meyer