Stolze Beute

Nach dem 0:0-Murks gegen Famagusta überraschte der SV Werder diesmal positiv und erbrachte mit einem Punktgewinn beim Gruppenkopf einen lang ersehnten Reifebeweis. Mit einem frühen Tor wähnte sich Inter zunächst auf der sicheren Seite. Fast unbemerkt drängten sich die Bremer jedoch ins Spiel zurück, glichen verdientermaßen aus und sorgten kurz vor dem Abpfiff sogar fast noch für den ganz großen Coup.
Kein Mal in fünf Jahren Champions League hatte Werder im Auswärtsspiel beim Topfavoriten irgendwas mitgenommen, und auch diesmal sah es anfangs so aus, als zahlte die Schaaf-Elf nur wieder Lehrgeld. Gleich die erste echte Torchance, nachdem Adriano (1.) und Ibrahimovic (8.) zwei kurze Warnungen ausgesprochen hatten, nutzte Inter Mailand eiskalt zum 1:0, als ein Abpraller Maicon in den Lauf fiel und der Brasilianer frei vor dem Tor mit einem Lupfer ins Netz traf – Bremen stand kaum auf dem Platz und lag bereits scheinbar aussichtslos hinten. Genau wie die dürftige Kulisse machte schon der Torjubel allerdings deutlich, was der italienische Meister von den Hanseaten hielt. Inter drehte ab und verstand seine Pflicht als erfüllt, was für den Rest der ersten Halbzeit in ein kühl-professionelles, wenn auch fast fehlerfreies Ballgeschiebe mündete. Mit Kontern aus seiner unknackbaren Abwehr wollte Mailand zum nächsten Schlag ausholen, gab sich im Zweifel aber auch mit dem Erreichten zufrieden. So kam es, dass die Bremer sich schon im ersten Abschnitt allmählich befreiten und nach ersten vergeblichen Anläufen auch noch eine hervorragende Ausgleichschance erspielten. Zum ersten Mal traute sich Prödl aus der eigenen Abwehr und passte alleingelassen vom rechten Flügel einen scharfen Ball in den Lauf von Pizarro, der aus kurzer Distanz an den Pfosten traf (39.).
Die verpasste Gelegenheit machte Werder weiter Mut. Im Unterschied zu manch anderem Königsklassen-Auswärtsspiel wählten die Bremer eine intelligente Herangehensweise, schalteten nicht auf den ligabewährten Spaßfußball um, sondern drängten den Gegner eher vorsichtig zurück. Statt Inter zum wohl entscheidenden Konter einzuladen und damit endgültig fehlzustarten, tasteten sie sich solange ans Tor heran, bis der Ausgleich nicht einmal mehr überraschte. Verunglückte Schüsse von Özil (51.) und Diego (57.) hatten Inter noch wenig beeindruckt. Dann aber leitete Pizarro auf dem rechten Flügel einen Angriff ein, schickte den Ball über Umwege zu Mesut Özil und kam rechtzeitig am langen Pfosten an, um die präzise Flanke des Deutsch-Türken routiniert einzulenken (62.). Längsthin verdient stand es damit 1:1. Spätestens jetzt zeigte sich, wie lasch und uninspiriert Inter Mailand zu Werke ging. Am Ausgleich störten sich die Italiener zwar gewaltig. Als sie nun ihr Offensivfeuerwerk zünden wollten, entpuppte es sich allerdings als weit weniger eindrucksvoll als gedacht. Eine scharfe Flanke von Cruz, die Ibrahimovic knapp verpasste (84.), und ein Außenpfostentreffer Maicons (87.) brachten Werder zwar noch kurz durcheinander. Die letzte Chance des Spiels aber vergaben sogar die Hanseaten, als der insgesamt beste Bremer Pizarro nach einem Naldo-Freistoß fast noch zum Siegtor abgestaubt hätte (90.). Auch so aber war das zweite Remis im zweiten Vorrundenspiel für die Schaaf-Elf ein ungeahnter Erfolg, auch ermöglicht zwar durch einen seltsam verklemmten italienischen Meister, nichtsdestotrotz aber achtbar erkämpft. Ins nächste Abenteuer Athen startet Werder damit - ungewohnterweise - noch unbesiegt.
Maik Großmann