Die sportlichen Erfolge sind überschaubar und die lediglich drei Saisons währende Bundesligazugehörigkeit mit Patina befleckt, dennoch wird Aachens Rückkehr in die Erstklassigkeit allerorten wohlwollend kommentiert. Der Grund: Die Kicker aus dem Dreiländereck Deutschland-Belgien-Niederlande stehen für traditionelle Werte.
Der Muff vergangener Jahrzehnte
Nachdem die Dortmunder ihr traditionell überwiegend gelb gefärbtes Trikot um breite weiße Längsstreifen bereicherten, was die BVB-Fanszene ersten Reaktionen zufolge eher befremdete, ist kein Klub der Liga schwarz-gelber als die Alemannia. Auch in anderer Hinsicht scheinen die Aachener näher ihren Wurzeln, als das Gros der Bundesligakonkurrenz: Als höchste Tugenden werden die mannschaftliche Geschlossenheit ohne hervorstechende Stars und das stark betonte kämpferische Element des Fußballsports vermittelt - speziell im heimischen Tivoli-Stadion, wo den Besucher nostalgische Fußballgefühle überkommen. Hier stehen die Fans noch in des Wortes wahrer Bedeutung hinter ihrer Elf - nur 3.700 der 21.300 Plätze sind als Sitzplatz ausgewiesen. Ein Hexenkessel für die Gastmannschaften. Ob, wie der jüngst zum Schreibtischtäter mutierte Ex-Stürmer Erik Meijer (ins Marketing gewechselt) sagt, „...Der Gestank von 80 Jahren hängt in der Kabine“, ist aus der Ferne nicht nachzuvollziehen, wohl aber, dass man sich Gedanken macht, mittelfristig dem zwar traditionsreichen, aber hoffnungslos veralteten Tivoli den Rücken zu kehren. „Wir sind gezwungen, ein neues Stadion zu bauen“, meint Sportdirektor Jörg Schmadtke. Angepeilt ist, in etwa drei Jahren eine neue Spielstätte nutzen zu können.
Heimat der Zweitligarekordler
Eine ganze Reihe prominenter Spieler, bzw. später als Trainer groß herausgekommene Akteure spielten am Tivoli auf. Dazu zählten u.a. die Erfolgstrainer Branco Zebec (1963-65) und Jupp Derwall (1949-53); Ex-Nationalspieler Jupp Kapellmann, der im Aachener Trikot erste BL-Erfahrungen sammelte (1968-70), sowie Torsten Frings (1990-96). Natürlich sind in diesem Zusammenhang auch die Zweitliga-Rekordspieler Joaquin „Jo“ Montanes (479 Spiele, 1974-89) und Willi Landgraf (508) zu nennen. Letzterer verabschiedete sich kürzlich nach sieben Jahren von der Alemannia und will bei Schalkes Zweiter (Oberliga Westfalen) seine Spielerkarriere ausklingen lassen.
Torhungrigstes Team im Aufstiegsjahr
Ein wesentlicher Aspekt der erfolgreichen Zweitligasaison 2005/06 war, dass Aachen - mit 61 Treffern das klassenbeste Team - über eine Offensivreihe verfügte, in der nicht nur eine Person für den krönenden Torabschluss in Frage kam. Marius Ebbers (13 Tore), Jan Schlaudraff (11) und Sascha Rösler (8) strahlten Torgefahr aus und auch der Rackerer Erik Meijer, in seiner letzten Profi-Saison, steuerte noch fünf Treffer bei. Ebbers, Schlaudraff und Rösler werden auch in der anstehenden BL-Saison auf ihre Chancen lauern. Zudem wurden Emmanuel Krontiris, der schon früher einmal (2003/04, 14 Treffer) für die Alemannia auf Torjagd ging sowie der Bosnier Vedad Ibisevic (kam vom französischen Zweitligisten Dijon Football) verpflichtet.
Mehr als ein Intermezzo?
„Wir werden nicht nur ein Farbtupfer sein“, verkündete Trainer Dieter Hecking, überzeugt, dass der Klassenerhalt trotz der vermeintlich widrigen Rahmenbedingen - kleines Stadion, vergleichsweise niedriges Budget (20 Mio.) und geringe Investitionsmöglichkeit (Matthias Lehmann mit 900.000 Euro teuerster Neuzugang) - keine Utopie sein muss. Ähnlich klang es auch im Frühsommer 1967, beim ersten Aufstieg, aus der Aachener Führungsetage („Wenn wir in die Bundesliga kommen, dann werden wir auch nicht gleich wieder absteigen“). Man behielt Recht, und konnte in der zweiten Saison sogar die Vizemeisterschaft feiern. Es wird spannend mitzuverfolgen, ob sich die Alemannia nach 36-jähriger Abstinenz tatsächlich erneut in der Erstklassigkeit behaupten und einen zweiten schwarz-gelben Bundesligablock etablieren kann.
André Schulin
Ihr seid nie zufrieden! Ihr würdet noch klagen, wenn ich Jesus Christus berufen würde!
— Carlos Dunga, Nationaltrainer von Brasilien, zu Journalisten.