Systemwechsel - Der Nationalmannschafts-Rückblick (Teil 2/2)

von Günther Jakobsen15:36 Uhr | 03.01.2012

Im Jahr 2011 wurde das Ende der Nationalmannschaftslaufbahn Michael Ballacks auch offiziell bekanntgegeben. Das Angebot für ein „Abschiedsspiel“ gegen Brasilien lehnte der „Capitano“ ab. Stattdessen trat die DFB-Elf gegen die Selecao zum ersten Mal in einer neuer taktischen Formation an.

Vor einem Jahr war Michael Ballack noch Nationalmannschaftskapitän - allerdings nur auf dem Papier. Sein letztes Länderspiel hatte der „Capitano“ bereits im März 2010 gegen Argentinien (0:1) bestritten. Seit seiner schweren Knöchelverletzung im englischen Pokalfinale, die ihm die Teilnahme an der Weltmeisterschaft in Südafrika kostete, wurde er kein einziges Mal mehr für die DFB-Elf nominiert. Ende März machte es Bundestrainer Joachim Löw dann auch offiziell. Bei einer Aussprache mit Ballack teilte er dem Profi von Bayer Leverkusen mit, dass dessen Nationalmannschaftskarriere vorbei sei. Nicht in Johannesburg oder Kiew, sondern in der „Trattoria Luca“, einem italienischen Restaurant in Ballacks Wohnort Meerbusch, wurde seine Laufbahn im DFB-Trikot beendet. Löw scheut nicht davor zurück, Akteure, die nicht mehr gut genug für die Nationalelf sind, auszusortieren. Ballack ist nur der prominenteste Fall im Jahr 2011. Geräuschlos sind dagegen zum Beispiel Andreas Beck, Stefan Kießling oder Piotr Trochowski vom Radar der DFB-Elf verschwunden.

Es war auch besser für die deutsche Mannschaft, dass Ballack das Angebot von Löw, gegen Uruguay (2:1) und Brasilien (3:2) die Länderspiele Nummer 99 und 100 zu machen, ablehnte. Denn mit dem 35-Jährigen wäre es wohl kaum zum „Systemwechsel“ gekommen. Der Bundestrainer ließ im Spiel gegen die Selecao zum ersten Mal im 4-1-4-1 spielen - mit Toni Kroos als sogenannter „Zwischenspieler“. Bei gegnerischem Ballbesitz bildet der Bayern-Profi mit seinem Vereinskameraden Bastian Schweinsteiger die Doppelsechs, bei eigenem Ballbesitz rückt er ins offensive Mittelfeld vor. Einerseits haben die Deutschen damit bei eigenem Ballbesitz eine Anspielstation mehr in der Offensive, aber andererseits kann der Gegner bei seinen Konterangriffen das Mittelfeld schneller überbrücken. Die Umstellung auf das 4-1-4-1-System bewies jedoch, dass nicht nur die Mannschaft, sondern auch der Trainer sich weiterentwickelt hat. In der Vergangenheit wurde Löw mangelnde taktische Flexibilität vorgeworfen. 2011 war das 4-1-4-1 nicht die einzige taktische Neuerung, die getestet wurde. Im Freundschaftsspiel in der Ukraine (3:3) probierte Löw eine Dreierabwehrkette aus, um auf mögliche Spielverläufe flexibel reagieren zu können.

In welcher Formation bei der EM gespielt wird, ob im überall üblichen 4-2-3-1 oder doch im neuartigen 4-1-4-1, steht noch nicht fest. Sami Khedira wird wohl nicht kampflos seinen Platz im Mittelfeld als zweiter Sechser hergeben. Der Real-Madrid-Profi ist nicht der einzige prominente Härtefall in der aktuellen deutschen Nationalmannschaft. Mit Mario Gomez und Mario Götze müssen sich wohl der amtierende Bundesliga-Torschützenkönig und einer der begehrtesten Jungstars in dieser Welt bei der EM mit einem Startplatz auf der Bank begnügen. Trainer Löw kann sich aus einem scheinbar unerschöpflichen Reservoir an Talenten bedienen. 2011 gaben sechs Spieler ihr A-Länderspieldebüt. Darunter war endlich auch der Gladbacher Marco Reus. Gegen Brasilien saß er zum ersten Mal zumindest auf der Bank, beim 3:1-Sieg in der Türkei wurde er zum ersten Mal eingesetzt, nachdem ihm zuvor immer was dazwischen gekommen war, wenn er für die Nationalmannschaft nominiert war. Wohl dem, der solche Alternativen hat. Es gab mal Zeiten, da hing das Schicksal der Nation an einer einzelnen Wade.

Senthuran Sivananda



Das Einzige, was sich hier bewegt hat, war der Wind.

— Franz Beckenbauer über die Leistung der deutschen Nationalmannschaft gegen Kamerun