DFB-Team

Teamanalyse Südkorea

von Günther Jakobsen12:07 Uhr | 23.06.2002

„Südkorea ist eine der schwächsten Mannschaften der Gruppe D, und obwohl sie vom Heimvorteil profitieren werden, stehen ihre Chancen auf ein Weiterkommen nicht besonders gut“, textete das offizielle Magazin „FIFA-Weltpokal 2002“ vor der WM. Nun steht die DFB-Elf gegen exakt diesen Gegner im Halbfinale des Turniers. Wie dieses Fußball-Kollektiv soweit kommen konnte, versuchen wir im Rahmen einer Teamanalyse zu ergründen.

Der Torwart
In allen fünf WM-Spielen Südkoreas stand Woon Jae Lee zwischen den Pfosten und überzeugte durchweg. Mit seiner sachlich-ruhigen Art, die Vorderleute zu dirigieren, strahlt der 29-Jährige Sicherheit aus, die er nicht nur andeutet, sondern auch abliefert. Nur zwei Gegentore musste der sprungstarke Keeper in den bisherigen Spielen hinnehmen. Selten sieht man ihn allerdings aus dem Tor herauslaufen. Da verlässt er sich vielfach auf seine kopfballstarken Vorderleute um Abwehrchef Myung Bo Hong. Mit der entscheidenden Elfmeterparade gegen den Spanier Juaquín im Viertelfinale machte er sich in seinem Land bereits zur Legende.

Die Abwehr
Nach einigen Fehlversuchen mit der Viererkette kehrte Coach Guus Hiddink wieder zur bewährten Dreierkette zurück und konnte über das ganze Turnier mit denselben Spielern in der Defensiv-Startelf aufwarten. Rechts verteidigt mit dem 31-jährigen Jin Chul Choi ein erfahrener, zweikampfstarker Mann, der reihenweise hochdekorierte Angreifer während der WM ausschaltete. Links (zuletzt mit Maske wg. Nasenbeinbruchs) agiert Tae Young Kim, der noch stärker erscheint, weil er neben seiner exzellenten Technik auch gern einmal in der Offensive auftaucht und über einen platzierten Schuss verfügt. Kopf des Abwehrverbundes ist jedoch der elegante Myung Bo Hong, eine Art „Beckenbauer Südkoreas“. Glänzendes Stellungsspiel, eine überragende Ballbehandlung und trotz seiner „nur“ 1,81m-Größe einer der kopfballstärksten Abwehrspieler der WM. Ein Kandidat für die WM-Top-Elf.

Das Mittelfeld
Die beiden Außen, Chong Gug Song (rechts) und Sang Yul Yoo (links), gehören mit ihrer Laufbereitschaft, Technik und Flexibilität zu den wichtigsten Anspielpositionen im Team. Viele Offensivaktionen werden über die Flügelakteure vorgetragen, die, unterstützt von den zentralen Mittelfeldstrategen Nam Il Kim (defensiv) und Ji Sung Park (offensiv) of per geschicktem Kurzpass-Dreiecksspiel entwickelt werden. Während Kim als einer der besten „Staubsauger“ der WM vor der Dreierkette mit ungeheurer Energie und Zweikampfstärke aufräumt, sorgt Park durch seine Speed-Vorstöße in die gegnerische Abwehr immer wieder für Unruhe. Als Alternative kamen, teils auch in der Startelf, Linksfuß Eul Yong Lee, ein schneller Flügelflitzer und der exzellente Allrounder Young Pyo Lee zum Einsatz. Als flexibelste Größe im Mittelfeld gilt jedoch der schon erwähnte Sang Yul Yoo, der überall auftaucht, oft die zentrale Anspielposition einnimmt, sogenannte „Drecksarbeit“ mitverrichtet und auch regelmäßig im Angriff auftaucht (ein Tor gegen Polen).

Der Angriff
Von Jung Hwan Ahn hat mittlerweile jedes Kind gehört. Sein „Golden Goal“ gegen Italien, sein poppiges Outfit und die Aufsehen erregenden Dribblings machen ihn zu einem WM-Superstar. Ein Quirl, der sich auch seine Auszeiten während eines Matches nimmt, aber immer für eine überraschende Aktion gut ist. Neben ihm konnte der gefährliche Stürmer des belgischen Champions-League-Teilnehmers Anderlecht Brüssel, Ki Hyeon Seol, überzeugen. Der schussstarke Legionär kommt vorwiegend über die linke Seite, ist technisch stark und für jeden gegnerischen Abwehrspieler eine Herausforderung. Als Alternative steht „Angriffs-Oldie“ Sun Hong Hwang bereit, der im Laufe des Turniers von Ahn verdrängt wurde, aber regelmäßig als Ergänzungsspieler zum Einsatz kam. Er ist der erfolgreichste Torjäger Südkoreas, traf gegen Polen ein Mal, konnte im Turnier aber nicht immer überzeugen.

Fazit
Polen, Portugal, Italien und Spanien stehen auf der imposanten Liste vor der WM hoch eingeschätzter Teams, die Südkorea auf dem Weg ins Halbfinale bezwang. Das vom Niederländer Guus Hiddink optimal vorbereitete Team technisch starker Dauerläufer ist die Sensationsmannschaft der WM. Von den teils fragwürdigen Schiedsrichterentscheidungen abgesehen, die das Weiterkommen begünstigten, müssen sich die bisherigen Gegner vor allem an die eigene Nase fassen, weil sie einfach nicht den Teamgeist, die Laufbereitschaft und den absoluten Siegeswillen (unterstützt von einem fantastischen Publikum) der Südkoreaner aufbrachten, der in den meisten Begegnungen entscheidend war. Der bisher härteste Brocken für die DFB-Elf in diesem verrückten WM-Turnier.



Ich bin zu gut, um keinen Erfolg zu haben auf Dauer.

— Udo Lattek