Im letzten Testspiel vor der EM trifft die DFB-Auswahl auf Ungarn. Die von Lothar Matthäus gecoachten Osteuropäer sind weit vom Glanz früherer Jahre entfernt, verpassten die EM-Teilnahme deutlich und haben auch hinsichtlich der WM-2006-Qualifikation nicht die besten Perspektiven. Die Absagenflut zum Spiel gegen Deutschland spricht nicht für eine ideale Einstellung der ungarischen Kicker zu ihrer Nationalelf.
Die böse Überraschung von Bern
Die bedeutendste Begegnung der 31 Vergleiche zwischen Ungarn und Deutschland war zweifellos das WM-Endspiel 1954 im schweizerischen Bern, das die Herberger-Elf sensationell mit 3:2 gewann. Im Gruppenspiel hatten die hoch favorisierten Ungarn noch mit 8:3 die Nase vorn - allerdings gegenüber einem deutschen Team, das Trainerfuchs Sepp Herberger bewusst nicht in stärkster Besetzung auflaufen ließ. Außer diesen beiden WM-Partien traf man nur in Freundschaftsspielen aufeinander. Gesamtbilanz: zehn Siege der Magyaren, elf Niederlagen und zehn Remis.
Ungarn in der Bundesliga
In der ungarischen Abwehr des 54er-WM-Turniers stand mit Gyula Lorant ein Spieler, der später bei nicht weniger als acht Bundesligaklubs das Traineramt ausübte, zuletzt beim FC Bayern (1977-79) und Schalke 04 (1978-80). Titelerfolge allerdings gelangen ihm nicht; im Gegensatz zu seinem Landsmann und Seidenschalträger Pal Csernai, der zwei Mal Deutscher Meister (1980 und 1981) und einmal DFB-Pokalsieger (1982) mit den Bayern wurde. 27 ungarische Profis verdingten sich in der Bundesliga, aber nur wenige etablierten sich dauerhaft. Lediglich vier Akteure kamen bislang zu mehr als 50 Einsätzen: Vasile Miriuta (63/ Cottbus), die Herthaner Pal Dardai (159) und Gabor Kiraly (198), sowie als Rekordhalter Krisztian Lisztes, der für den VfB Stuttgart und Werder Bremen 199 BL-Partien spielte.
Lockruf des Geldes
Gern länger als die 33 Spiele (mit elf Torerfolgen) aus der Saison 1987/88 hätte die Frankfurter Eintracht von den Spielkünsten des Offensivakteurs Lajos Detari profitiert, der zudem mit seinem Treffer im Finale gegen Bochum den Hessen den DFB-Pokal gesichert hatte. Doch die damalige Rekordablöse von 15 Millionen Mark von Olympiakos Piräus erleichterte den Hessen den Abschied vom ungarischen Fußballästheten, der, so Eintracht-Manager Kraus, dem Mammon nicht hatte widerstehen können: "Was er in drei Jahren in Piräus verdient…das hätte er in Frankfurt in 20 Jahren nicht verdienen können".
Große Vergangenheit, triste Gegenwart, ungewisse Zukunft
Seit Januar 2004 ist Lothar Matthäus Trainer der Ungarischen Nationalelf, mit dem Ziel, die WM-Qualifikation 2006 erfolgreich zu bestehen. Sein Vorgänger Imre Gallei hatte nach der verpassten EM-Quali, die Ungarn nur als Gruppenvierter beendete, das Handtuch geworfen. Der zweimalige WM-Finalist (1938 und 1954) zählt schon lange nicht mehr zu den Großen des internationalen Fußballs und erreichte zuletzt 1986 die WM-Endrunde, scheiterte jedoch - wie in den beiden voran gegangenen Turnieren - bereits in der Gruppenphase. Die Bundesligalegionäre Dardai, Kiraly, Lisztes (wg. Kreuzbandverletzung außer Gefecht) und Scabics (VfB Stuttgart) zählen zum Stamm der Nationalelf, auch wenn Kiralys Position (derzeit vereinslos) wackelt. Die Zweitligaakteure Zsolt Löw (Cottbus) und Tamas Bodog (FSV Mainz) liefen ebenfalls in der EM-Qualifikation auf. Im Januar 2004 schockte der auf dem Fußballplatz erlittene Herztod des 24-jährigen Nationalstürmers Miklos Fehér (Benfica Lissabon) die Magyaren, und beraubte sie eines viel versprechenden Talentes.
Desinteresse an Nationalelf
Ein kurzfristiger Aufschwung im ungarischen Fußball ist nicht absehbar, und die WM-Quali mit den stärker einzuschätzenden Konkurrenten Schweden, Kroatien und Bulgarien - Island und Malta komplettieren die Gruppe - eine hohe Hürde. Ob Nationalcoach Lothar Matthäus diesen steinigen Weg langfristig beschreitet, scheint fraglich. Ein knappes halbes Jahr nach seiner Inthronisierung kursieren bereits Wechselgerüchte. Übermäßiges Engagement für die Nationalelf kann man seinen Schützlingen nicht unterstellen. "Die zehn Vorderleute vor Kiraly kommen in unserer Anfangsformation, die ich jetzt beim besten Willen noch nicht nennen kann, zusammen allenfalls auf 40 Länderspiele", kommentierte Matthäus die Absagenflut von mehr als 20 Spielern vier Tage vor dem Test gegen Deutschland.
André Schulin
Andere erziehen ihre Kinder zweisprachig, ich beidfüßig.
— Christoph Daum