Überlebenskampf im Profifußball

von Günther Jakobsen11:56 Uhr | 29.11.2006

„Faktisch haben wir nicht den Hauch einer Chance, in der 1. Liga zu spielen.“ Warum Energie trotzdem die Nummer 1 im Osten ist, erklärt er im Interview.

Petrik Sander, wie haben Sie Energie Cottbus in zwei Jahren vom Abstiegsplatz der 2. Liga in die obere Hälfte der 1. Liga geführt?

Da gibt es kein Erfolgsrezept. Es ist das Ergebnis einer harten, kontinuierlichen Zusammenarbeit mit meinen Co-Trainern.

Aber warum ziehen die Spieler so gut mit?

Das ist eine Frage des Charakters. Aus finanziellen Gründen kommt keiner zu uns. Wir haben nur die Möglichkeit Spieler zu verpflichten, die anderswo keine Beachtung finden. Wer zu uns kommt, muss also den unbedingten Willen mitbringen, sportlich etwas erreichen zu wollen.

Beschreiben Sie mal die Charaktereigenschaften Ihrer Leute.

Bei Transfergesprächen frage ich: „Willst du den Leuten beweisen, dass du besser bist, als man dich einschätzt?“ Der Spieler muss verstehen, dass Cottbus sein Schaufenster ist, in dem er wie eine Puppe aufläuft und sich empfiehlt.

Um Spieler zum Wechsel nach Cottbus zu überreden, treffen Sie sich mitunter sogar auf Autobahn-Raststätten zu Gesprächen.

Sander: Uns fliegen keine fertigen Spieler wie gebratene Tauben in den Mund. Wir müssen flexibel sein, und, wenn es sein muss, Hunderte Kilometer fahren, um Spieler zu überzeugen.

Und das machen Sie?

Was bleibt mir übrig. Ich muss mit den Leuten schließlich arbeiten.

Bei anderen Klubs übernimmt so einen Job allerdings der Manager oder ein Chefscout.

Wir haben mit Steffen Heidrich einen Manager, dem ich weitgehend vertraue. Aber letztlich ist es mir lieber, wenn ich selbst weiß, mit wem ich es zu tun habe.

Sie sind ein Kontrollfreak.

Meine Oma hat immer gesagt: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“

Gibt es noch ungewöhnlichere Orte, an denen Sie Transfers ausgehandelt haben?

Zu DDR-Zeiten hätte man von konspirativen Wohnungen gesprochen. Spaß beiseite, wir müssen bei den Treffen sehr vorsichtig sein. Wenn ein Spieler auf unserer Wunschliste steht, ist er auch für andere Klubs interessant. Und sobald ein anderer Bundesligist mitbietet, sind wir aus dem Rennen.

Inwieweit sind Sie da ein gebranntes Kind?

Ein Beispiel: Wir waren uns mit dem Regionalligaspieler Ralph Gunesch einig. Das wurde publik und plötzlich meldete Mainz Interesse an ihm an. Und deren Angebot war dreimal so hoch wie unseres.

Selbst zwischen dem FSV Mainz 05 und Energie Cottbus klafft wirtschaftlich eine so große Lücke?

Deshalb ist es ein Witz, wenn Jürgen Klopp erzählt, Mainz würde finanziell in unserer Liga spielen. Die sind mindestens eine drüber, wenn nicht zwei oder drei.

Fällt es Ihnen schwer, Spieler zu überzeugen, in ein strukturschwaches Gebiet wie die Lausitz zu kommen?

Wenn diese Frage auf einen Ost-West-Gegensatz zielt: Nein, es ist nicht schwer, die Spieler nach Cottbus zu locken. Unser Problem ist, dass wir nichts außer einer sportlichen Perspektive bieten können. Hier verhungert zwar keiner, aber Millionär wird auch keiner mehr.

Unter dem vorherigen Präsidium war das anders?

Die Situation, in der mein Vorgänger gearbeitet hat, unterschied sich gänzlich von der jetzigen. Oder meinen Sie, die 4,5 Millionen Euro Schulden, die der Verein hat, sind vom Himmel gefallen?

Was unterscheidet das Präsidium von Amtsvorgänger Dieter Krein vom gegenwärtigen Präsidenten Ulrich Lepsch?

Als Krein aus dem Amt schied, war der Verein praktisch handlungsunfähig. Es war nichts mehr da, was wir für Spieler hätten ausgeben können. Deshalb müssen wir alle genau darauf achten, nicht mehr auszugeben als eingenommen wird.

Haben Sie eine Erklärung dafür, dass die anderen Aufsteiger mehr Probleme haben, sich in der 1. Liga zurechtzufinden als Energie?

Ich habe gelesen, dass sich sogar in Aachen die Sichtweise änderte, als die kurzzeitig Tabellenführer waren. Unsere Stärke ist, dass wir uns immer richtig eingeschätzt haben. Wir gehen jedes Match wie ein Champions League Spiel an.

Wann gehen bei Ihnen voraussichtlich die Probleme los?

Es ist mein Job, dafür zu sorgen, dass das am besten gar nicht passiert.

Nach der zehnjährigen Regentschaft von Eduard Geyer kamen Sie über Nacht in die Trainerverantwortung. Schlug Ihnen am Anfang großes Misstrauen entgegen?

Bestimmt haben bei meiner Berufung einige gedacht, jetzt sei Energie verrückt geworden. Aber darüber konnte ich mir keine Gedanken machen. Ich musste zusehen, dass Cottbus nicht von der Fußball-Landkarte verschwindet. Im Übrigen: Für das Geld, das ich hier im ersten Jahr verdient habe, wäre kein Trainer nach Cottbus gekommen.

Hatten Sie Zweifel, dass Sie dem Druck standhalten?

Ich kenne keine Angstgefühle, nur die Last der Verantwortung. Schließlich war ich plötzlich nicht nur für 22 Spieler zuständig, sondern auch dafür, dass Sekretärinnen, Waschfrauen und der Platzwart ihre Jobs behalten. Und dann wurden auch noch Leistungsträger verkauft, um den Klub vor der Insolvenz zu retten – Laurentiu Reghecampf nach Aachen und Michael Thurk nach Mainz. Da haben wir eigentlich den Klassenerhalt verkloppt – und ihn dann doch geschafft.

Ein immenser Aufwand.

Es führte zwischenzeitlich dazu, dass mein Co-Trainer bei mir geschlafen hat, damit wir mehr kommunizieren können. Wie gesagt, „bei mir“ und nicht „mit mir“ (lacht).

Wie ist Ihr Verhältnis zu Eduard Geyer heute?

Wir telefonieren unregelmäßig. Zu seinem Geburtstag habe ich ihn angerufen. Und ich erwarte seinen Anruf, wenn ich ein Jahr älter werde.

Er hat Sie bei Energie 1997 zum Co-Trainer gemacht. Was haben Sie von ihm gelernt?

Dass man ein vernünftiges Maß an Ordnung und Disziplin in einer Mannschaft braucht, um Ziele zu erreichen. Und dass ein Trainer seinem Team den unbedingten Erfolgswillen vorleben muss.

Geyer gilt als Schleifer. Sie sind eher der Kumpeltyp, oder?

Als Kumpel kommt man im Profifußball nicht weiter. Ich wäge ab, in welchen Situationen ich mich wie artikuliere: Dazu kann Kumpelhaftigkeit gehören, aber auch hartes Durchgreifen, wenn ein Spieler nicht in der Lage ist, eine Aufgabe zu erfüllen.

Das Interview führte Tim Jürgens

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In erster Linie versuche ich, über den vierten Offiziellen die Nachspielzeit zu reduzieren.

— Sebastian Hoeneß, Trainer 1899 Hoffenheim, auf die Frage, wie er gegen Eintracht Frankfurt späte Gegentreffer verhindern will.