Verkehrte Welt

von Günther Jakobsen16:19 Uhr | 21.01.2009

Damit hatte niemand gerechnet: Hannover 96, ambitionierter denn je, kam mit seinem teuersten Kader der Geschichte auf keinen grünen Zweig und mutierte in einer schaurigen Hinrunde gar zurück zu einem Abstiegskandidaten. Erklärungen für das Desaster fanden sich viele. Trotzdem hat selbst der so unantastbare Trainer von seinem Zauber inzwischen verloren.

Am Ende war Dieter Hecking einer der letzten echten Pfeiler, nachdem eine Säule nach der nächsten im Verlauf der Hinrunde weggebrochen war. Den Saisonstart gegen Schalke (0:3) und Cottbus (0:0) vermasselte 96 noch alibifrei, nämlich in vermeintlicher Bestformation, in welcher die prominent verpflichteten Eggimann und Forssell noch nicht einmal Platz gefunden hatten. Vor dem 0:2 in Stuttgart modellierte Hecking die Mannschaft dann aufwändig um und durfte eine Woche später schon an einen geplatzten Knoten glauben, als der HSV in einem merkwürdigen Spiel viel zu hoch gegen Mönchengladbach gewann (5:1). Doch der Fußballgott meinte es nicht gut mit den Roten. Nicht nur, weil sie gleich das nächste Spiel gepfeffert um die Ohren bekamen (0:4 in Leverkusen), sondern da auch nach und nach eine seltsame Seuche von der Mannschaft Besitz ergriff. Schon seit Saisonbeginn fehlte Michael Tarnat, hinzu kamen teils schwere Verletzungen von Vinicius, Ismael und Kampfmaschine Lala sowie fatalerweise auch von Robert Enke, der wie kein Zweiter für den Aufschwung der letzten Jahre und das damit verbundene neue Selbstvertrauen gestanden hatte. Dies alles aufzufangen, konnte der immer noch gestandenen Rest-Mannschaft nicht gelingen bzw. nur in besonderen Momenten wie dem 1:0 über verschreckte Bayern und einem bemerkenswerten 3:0 gegen den Hamburger SV. Nur gegen Größere, so stellte sich heraus, stieß das Team an sein eigentliches Limit.

Gerade weil man vor Saisonstart so viel mehr erwartet hatte, blieb in Erinnerung somit eher das schwache Gesicht. Beschämend etwa das 2:5 gegen Hoffenheim, als die Hecking-Elf schon mit 2:1 in Front lag und sich am Ende willenlos vorführen ließ. Auch in Berlin (0:3) und bei Eintracht Frankfurt (0:4) fiel die einst so starke Verteidigung spät aus dem Leim, so wie ohnehin Hannovers Auswärtsverhalten ein einziges Rätsel blieb. Gerade einen Zähler (1:1 in Dortmund) brachte 96 mit an die Leine, nachdem es in den letzten beiden Jahren noch überdurchschnittlich häufig auswärts aufgetrumpft hatte. Als sich der Fehlstart somit zum chronischen Leiden entwickelte, wirkten die Roten im Keller auch nicht mehr wirklich fremd. Längst waren auch nicht mehr die Verletzten allein das Problem. So blieb der komplette Angriff um Hanke, Stajner und die Stareinkäufe Schlaudraff und Forssell weitestgehend unversehrt, fand aber in keiner probierten Konstellation je wirklich zu sich. Auch die Nachrücker des nicht schmal besetzten Kaders bekleckerten sich nicht mit Ruhm. Und je unkomfortabler die Lage dann wurde desto mehr zeigte die Mannschaft schließlich Probleme mit den Nerven, brachte in wichtigen Heimspielen gegen Bochum und Bielefeld (jeweils 1:1) Führungen nicht über die Zeit und hätte selbst einen 3:0-Vorsprung gegen Karlsruhe fast noch verzockt. Um Dieter Hecking blieb es bei all dem erstaunlich ruhig. Dennoch bekam auch sein Denkmal einige Kratzer, da sein Wunschteam nicht nur nicht harmonierte, sondern teils gar zerstritten und lustlos erschien; Spielmacher Huszti etwa enttäuschte menschlich wie sportlich, Hanno Balitsch wurde sogar suspendiert. Vor der Rückrunde steht Hannover damit im Grunde wieder auf Start. Ein allzu ernster Abstiegskampf steht bei normalem Verlauf und vor allem bei Genesung des Stammpersonals zwar nicht mehr ins Haus. Da sich selbst nach einer halben Saison das Team aber überhaupt nicht gefunden hat, dürfte es bis zum Ende zumindest recht ungemütlich bleiben.

Maik Großmann



Sie spielen taktisch gut, obwohl sie ohne Taktik spielen.

— Udo Lattek