Gelegentliche Luftlöcher hatte es an der Weser auch in den letzten Erfolgsjahren immer gegeben. Diesmal aber setzte die Schaaf-Elf sich dagegen nicht zur Wehr, spielte selbstgefällig und lustlos und brachte mit teils unbelehrbaren Vorstellungen speziell in der Champions League sogar ihre Fans gegen sich auf. Die Diagnose zum Winter klingt wenig erbaulich: zu viele Eitelkeiten und zu wenig Teamgeist.
Zum Sinnbild der Bremer Hinserie taugt zur Zeit das ruhmreiche Weserstadion. Beinahe unbemerkt wird es aufwändig renoviert und zu einem hochmodernen Schmuckkasten geputzt. Werders Anhang aber jubelt darüber nicht, weil eine noch größere Lösung, nämlich das Aufsetzen eines weiteren Ranges, nach langem Gezerre doch noch gestoppt worden war. In der Bundesliga nun verhält es sich ähnlich. Mit dem vermeintlich besten Kader der Geschichte ging Werder an den Start und enttäuschte damit mehr als alle anderen Teams; das Überwintern in DFB- und UEFA-Pokal bietet nach diesen Maßstäben kaum einen Trost. Entscheidend dabei: Den Nachweis, eine echte Spitzenmannschaft zu sein, verweigerten die Hanseaten nicht nur einmal, sondern serienmäßig. Gleich zum Auftakt auf der Alm (2:2) sowie gegen Schalke (1:1) verzockte Werder jeweils seine Führungen. Was folgte, war ein Auftritt in Gladbach (2:3), wie ihn sich Fans und Verantwortliche empört für die Zukunft verbaten. Gerade dies aber wurde zum Merkmal der Bremer Saison, nämlich die Unfähigkeit, aus bereits begangenen Fehlern zu lernen. Wann immer man dachte, nun hätte Grün-Weiß es endlich begriffen, folgten grausige Auftritte wie in Stuttgart (1:4) oder noch Anfang Dezember beim KSC (0:1). Auch innerhalb einer Partie zeigte die Schaaf-Elf gern mehrere Gesichter, verschenkte etwa Sekunden vor Abpfiff ein soeben erst repariertes Spiel gegen Dortmund (3:3) und hatte großes Glück, gegen Hoffenheim in Unterzahl noch zum 5:4-Sieg zu kommen. Einer 4:1-Führung zum Trotz.
All das hätte man Werder womöglich sogar verziehen, hätte es nicht das unwürdige Aus in der Champions League gegeben. Athen, Famagusta und ein ungewöhnlich schwaches Inter Mailand hießen die Gegner, doch die Bremer schafften erst dann einen Sieg, als schon alles zu spät war. Mit dem 0:3 gegen Athen, einer Bankrotterklärung der eigenen Teammoral, erreichte die Schaaf-Elf ihren Tiefpunkt und brauchte am letzten Spieltag sogar Schützenhilfe, um in der leichtesten aller Champions-League-Gruppen nicht auf Rang vier zu verenden. Nicht mehr zu beschönigen war mittlerweile die zumindest unglückliche Bremer Personalpolitik. Noch untypischer aber: Auch Thomas Schaaf geriet mehr und mehr in die Kritik, weil der im Einzelnen stark besetzte Kader als Mannschaft nicht funktionierte. Wichtig für die Seele und vor allem für die Rückserie daher, dass wenigstens einmal ein großer Wurf gelang. Man schrieb den 20. September 2008, als Werder Bremen den vermeintlichen Hauptrivalen dieser Saison bis auf die Knochen blamierte und den FC Bayern München gleich mit 5:2 aus dem eigenen Stadion schoss. Werder konnte also, aber tat es plötzlich nicht mehr. Denn alles, was folgte, selbst so klare Erfolge wie gegen Hertha (5:1) und Eintracht Frankfurt (5:0), war mehr oder weniger pure Quälerei. Rein sportlich lagen die Probleme vor allem auf den Außen, wo Fritz in eine tiefe EM-Grube fiel und am Ende selbst der ausrangierte Tosic wieder bemüht werden musste. Verletzungen etwa von Mertesacker und Jensen rissen zusätzliche Löcher. Und im Angriff hing zu viel an Pizarro, der als einziger überhaupt Format bewies, speziell in der Champions League aber auch rätselhaft enttäuschte. Warum Werder sich mittelmäßige Stürmer wie Almeida und Sanogo leistet, wurde nebenbei noch immer nicht klar. Hinzu aber kam noch etwas anderes. So gab Vize-Kapitän Torsten Frings einen unfreiwilligen Einblick in die charakterlichen Schwächen des Teams, als er einen sowohl für sich als auch den Verein hochpeinlichen Streit mit dem Bundestrainer vom Zaun brach. Mit Leistungen untermauern konnte Frings seine Allüren fast nie – ebenso wenig wie Traumtänzer Diego, der sich erst zu Olympia quengelte und seiner erhöhten Bringschuld im Anschluss dann nicht nachkam. In der Liste der größten Enttäuschungen lagen die angeblich verfeindeten Diego und Frings damit lange gleichauf. Am Ende aber siegte doch der Brasilianer, als er sich gemeinsam mit Pizarro im vorletzten Hinrundenspiel noch eine mehrwöchige Sperre einhandelte. Es war dies das vorerst letzte Beispiel einer selbstverschuldeten und nicht nur aus Sicht des grün-weißen Anhangs daher völlig unnötigen Bremer Depression.
Maik Großmann
Es ist ein Manko, das sich durchzieht, dass wir zu schnell unseren Kopf verlieren.
— Trainer Bruno Labbadia über die Krise bei Hertha BSC.