Die Vereinsfarben blieben, das Weserstadion darf nach wie vor seinen Geburtsnamen tragen und das administrative Doppel Schaaf/Allofs weiterhin die sportlichen Geschicke leiten. Ansonsten aber änderte sich einiges. Der zusätzlichen Einnahmen aus den internationalen Wettbewerben beraubt, passte man die Kaderplanung an: Hoch dotierte Verträge wurden nicht verlängert, stattdessen die Verjüngung des Kaders vorangetrieben. Zudem könnte es sein, dass die Raute nur noch im Vereinslogo, nicht aber als taktische Variante auf dem Feld zu sehen sein wird.
Jeder Saisonstart ist mit Erwartungen verbunden. Lange Jahre konnten die Grünweißen ohne zu erröten kundtun, mindestens einen Europapokalplatz anzupeilen. Das Abschneiden der beiden letzten Saisons (2011: Platz 13/2012: Platz 9) gebietet eine vorsichtigere Prognose. Zumal, da Naldos Wechsel (zum VfL Wolfsburg) den weiteren Verlust einer Persönlichkeit markiert, die neben anderen für Bremens spielerische Qualität stand. Als Langzeit-Werderaner im Bundesligabetrieb können nunmehr lediglich noch Fritz (seit 2006) und Hunt (2004) betrachtet werden. Auch Pizarro hätte man, wie Naldo, gerne gehalten. Immerhin, der im Wesentlichen finanziell bedingte Totalumbau bietet Chancen. Mit viel versprechenden Neuverpflichtungen setzt Werder den in der vergangenen Saison eingeschlagenen Weg fort, junge, veranlagte Spieler zu einem Team zu formen, das in absehbarer Zeit wieder regelmäßig dem oberen Drittel der Liga zuzuordnen sein soll.
Als Sofort-Verstärkung gelten Abwehrspieler Theodor Gebre Selassie (rechte Außenbahn), der im tschechischen Team bei der EM einen guten Eindruck hinterließ, der vom FC Bayern ausgeliehene Mittelstürmer Nils Petersen, Offensivakteur Eljero Elia und der aus Düsseldorf kommende Assani Lukimya, der allerdings mit Sokratis und Prödl um einen Platz in der Innenverteidigung wetteifern muss. „Wir haben interessante Spieler dabei“, meint Thomas Schaaf, und das dürfte sich nicht nur auf die Neuen beziehen.
Nach den unbeständigen zwei letzten Spielzeiten hofft man an der Weser, dass Akteure wie Ekici, Junuzovic, Ignjovski, Schmitz, Arnautovic und Bargfrede erstens uneingeschränkt spielfähig sind, was zuletzt bei Weitem nicht der Fall war, und dass sie als Team gereifter und konstanter auftreten. Gleiches gilt für die noch jüngeren Talente Trybull, Hartherz und Füllkrug (jeweils 19 Jahre), die in ihrem ersten Bundesligahalbjahr ansprechende Leistungen zeigten. Auf der Torhüterposition wurde Mielitz immer dann, wenn er Wiese vertreten musste, seiner Aufgabe gerecht. Das dürfte auch dazu beitragen, dass er gegenüber Neuverpflichtung Raphael Wolf nun die Nase vorn hat.
Werders Personalplanungen sind aber noch nicht vollends abgeschlossen; so wird seitens Klaus Allofs ein gesteigertes Interesse am Belgier Kevin de Bruyne bestätigt. Der 20-jährige Flügelstürmer soll vom FC Chelsea ausgeliehen werden und würde den Altersschnitt der mittlerweile zur jüngsten Bundesligamannschaft mutierten Bremer Elf noch weiter senken. Kolportiert wird zudem, dass u.a. über Prince-Desir Gouano, einen 18-jährigen französischen Innenverteidiger nachgedacht wird. Das radikale Bremer Lifting macht auch vor dem Spielsystem nicht halt - das einstige Erfolgsmodell „Raute“ könnte ein Opfer der Reformen werden. Der stattliche Umbau, der Chance und Risiko beinhaltet, scheint an der Weser jedoch in erster Linie eine Aufbruchstimmung erzeugt zu haben. Optimistisch, aber auch vorsichtig, äußert sich Kapitän Clemens Fritz zur neuen Saison: „Ich hoffe, dass wir international angreifen, statt im Mittelfeld zu spielen.“
André Schulin
Wir haben heute den Journalistenwunsch nach offensivem Fußball erfüllt und vier Kontertore gefressen.
— Bernd Stange, Trainer VfB Leipzig, nach einem 1:4 gegen den HSV.