Drei Favoriten vor dem Aus. In den Gruppen C und D mussten die drei Top-Fußballnationen Italien, Niederlande und Deutschland erkennen, dass die Teams aus der zweiten und dritten Reihe Europas bedenklich an der traditionellen Vorherrschaft der "Großen" rütteln.
Deutlicher denn je drängte sich am Beispiel der Gruppe C die Erkenntnis auf, dass Dänemark und Schweden längst auf die gleiche Stufe mit Italien gestellt werden müssen, auch wenn ihre Leistungen im Vorfeld eines großen Turniers selten in den Vordergrund gerückt werden. Natürlich ist es keine neue Weisheit, dass sich die Erfahrungen der skandinavischen Spieler in den Top-Ligen des Kontinents auch auf die Leistungen der Nationalmannschaften übertragen würden. Doch dass Dänemark und Schweden längst in der gleichen Liga wie die regelmäßig überschätzten Italiener spielen würden, ist bislang noch nicht überall akzeptiert. Da wird von Wechselfehlern Trappatonis schwadroniert oder die Defensivtaktik der Azzurri nach einem geschossenen Tor als größtes Dilemma hervorgehoben. Tatsächlich jedoch mussten die Italiener jedes Mal zurückweichen, weil Wille, Können und Kraft der Skandinavier in den entscheidenden Phasen überlegen waren. Tugenden, die die verzogenen Stars Italiens erst wieder neu erlernen müssen. Die hoffnungslos verschuldete Serie A wird mit dem längst begonnen Abstieg ihres Gönners und Provitators Berlusconi auf ein längst überfälliges Maß zurechtgestutzt und mit ihr die total überschätzten Leistungen der Azzurri-Stars. Dagegen saugen sich die Skandinavier die guten Erfahrungen aus den Top-Ligen ab und tragen sie in den längst vorhandenen Teamgeist ihrer Nationalmannschaften. Hinzu kommt die tolle Mischung aus Disziplin auf dem Platz sowie die Lockerheit zwischen den Matches und fertig ist ein Gefüge, das Zukunft hat und stabil ist. Ein guter Weg.
Krass auch die Erkenntnis des Lettland-Spieles: Die Balten waren schlichtweg gleichwertig. Die Frage, ob nun die Deutschen schlechter geworden sind, oder die Letten so stark, erübrigt sich, denn die Überbewertung der DFB-Elf, sobald es mal wieder etwas besser gelaufen ist (wie gegen Holland), scheint intern wie extern das größere Problem zu sein. Wenn sich die Spieler selbst regelmäßig in die Tasche lügen, dass der Vize-Weltmeister-Titel auch nur annähernd etwas mit "2. Platz in der Welt" zu tun haben könnte, ist totale Betriebsblindheit angesagt. Eine Domäne, in der sich Schönredner Kahn besonders wohl fühlt. Tatsache ist zum einen, dass die DFB-Elf fussballtechnisch hinterherhinkt und bestenfalls zu den dreißig bis fünfzig besten Teams dieser Kategorie in der Welt zählt. Hinzu kommt, dass wir keine Außenbahn-Spieler mit internationaler Klasse besitzen und dass im Angriff auf Spieler zugegriffen wurde, die entweder völlig außer Form sind (Klose), über die gesamte Saison hinweg und zuvor schon international nie etwas gerissen haben (Bobic), oder aber in ihren Mitteln zu beschränkt sind wie Brdaric, dessen Aufstellung nur Sinn macht, wenn man einzig auf Konter lauert. So verbleiben für dieses Turnier ein Kevin Kuranyi, dessen Ballbehandlung besticht, der aber zuviel Chancen benötigt und ein Youngster wie Lukas Podolski, dessen Flexibilität und Wucht kein deutscher Angreifer auch nur annähernd erreicht. Neben dem Techniker Kuranyi wäre "Poldi" die derzeitige Idealbesetzung. Das billige Argument "Alter" (Netzer!) darf keines sein (siehe Rooney), sonst hätte man den Kölner zuhause lassen müssen.
Auch die Niederländer wurden auf den Pott gesetzt. Okay - Tschechien wurde bereits im Vorfeld hoch eingeschätzt und das "Spiel des Jahres" bzw. "Jahrzehnts" von gestern bewies, zu welch großartigen Leistungen Nedved & Co., aber auch die Oranje-Individualisten gegen hochkarätige Gegner fähig sein können – und zu welchen Fehlern. So hatte Bondscoach Advocaat völlig aus dem Auge verloren, dass sein Team unfähig ist, einen Vorsprung durch strikte Defensive zu halten. Für Holland gibt es nur vorwärts, was sich gegen die Letten, deren Abwehrmauer durch starke Individualisten ausgehebelt werden kann – die den Deutschen fehlen, die Holländer aber zur Genüge besitzen – zum Vorteil auswirken wird. Wenn das Advocaat-Team allerdings seine Abwehrschwächen nicht in den Griff bekommt und z.B. erneut gegen einen Top-Sturm, wie ihn Schweden hat, bestehen muss, könnte das Viertelfinale bereits die Endstation sein.
Wie Deutschland allerdings verhindern will, dass die Tschechen sie ohne Ergebnis-Druck an die Wand spielen, liegt auf der Hand und ist ernüchternd genug. Die Spieler müssen ans Limit gehen – anders als gegen Holland – diesmal indes über 90 Minuten plus Nachspielzeit. Zudem muss Völler Podolsky bringen, es sofort mit Schweinsteiger und evtl. Hinkel über die Außenbahnen versuchen, Nowotny oder Friedrichs in die Innenverteidigung für Baumann ziehen und evtl. Ziege defensiv bringen, damit Lahm mehr Freiheiten nach vorn hat. Es gibt also einige Varianten, die den nötigen Überraschungseffekt für die Offensive bewirken könnten. Bislang ging dem Völler-Skibbe-Gespann jedoch Mut und Kreativität ab. Deshalb wäre ein Weiterkommen eine angenehme Überraschung.
Ulrich Merk
Ob man in Köln sitzt oder Jerusalem, das muss man sehen. Das macht vieles kaputt, was der Videobeweis erreichen will – mehr Gerechtigkeit.
— Fredi Bobic