Nach sieben Jahren Bundesliga vollzieht Ralf Rangnick einen krassen Schnitt in seiner Trainerlaufbahn: Im Winter noch mit Schalke 04 in der Champions League, will er jetzt mit Unterstützung von SAP-Chef Dietmar Hopp die TSG Hoffenheim aus der Regionalliga in die Bundesliga führen. Das Fußballmagazin "11 Freunde" sprach mit dem Fußballlehrer über seine neue Aufgabe.
11 Freunde: Herr Rangnick, mit dem Trainerjob bei der TSG Hoffenheim kehren Sie zu Ihren Wurzeln zurück…
Ralf Rangnick: Aber nur, was die Liga betrifft.
Kehren Sie damit auch in einen Bereich zurück, in dem Sie Ihrem persönlichen Werteverständnis näher sein können?
Nein. Ich glaube, auch bei meinen Jobs in der Bundesliga bin ich mir selbst nie untreu geworden.
Welche Werte spielen bei Ihrer Arbeit eine zentrale Rolle?
Neben Selbstverständlichkeiten wie Pünktlichkeit, Respekt, Disziplin und Spaß an der Arbeit will ich vor allem Transparenz vermitteln: Ich möchte, dass meine Spieler wissen, warum ich Dinge anordne, damit sie ihre Arbeit und auch ihr Arbeitsgerät, ihren Körper, besser reflektieren.
Ist der Job in Hoffenheim auch als Verschnaufpause von sieben Jahren Bundesliga-Stress gedacht?
Nein. Wenn die Saison losgeht, ist der Druck da. Denn mit unserem Spielerpotential sind wir der Top-Favorit. Im übrigen fand mein letztes Pflichtspiel als Trainer auf Schalke gegen Mainz vor 65 000 Zuschauern statt. Und ich will so schnell wie möglich wieder dahin, wo ich im Winter noch war.
Haben Sie sich aufgrund wechselhafter Erfahrungen als Bundesliga-Coach manchmal nach der ruhigen Arbeit in der Regionalliga gesehnt?
Ich hätte mir ebenso vorstellen können, wieder in der Bundesliga zu arbeiten oder auf ein Angebot aus dem Ausland einzugehen.
Welche Angebote lagen Ihnen denn vor?
Zuletzt habe ich mit dem Fußballverband aus China verhandelt, dessen Nationalteam ich zur Olympiade in Peking und zur WM 2010 führen sollte.
Warum haben Sie abgelehnt?
Meine Familie hat den Ausschlag gegeben. Ich habe schulpflichtige Kinder und der Schritt nach Peking hätte vor allem für die Familie ein neues Leben bedeutet. Denn ich wäre wohl die meiste Zeit durch die Welt gereist.
Was hat Sie stattdessen zum Abstieg in die Regionalliga bewogen?
Die Vision von Dietmar Hopp. Er ist ein sehr bescheiden auftretender Mensch, der sich beim ersten Mal, als er mich in dieser Angelegenheit anrief, fast entschuldigt hätte. Seine Frage, ob ich mir ein Engagement in Hoffenheim vorstellen könne, habe ich spontan verneint. Aber als er mir davon erzählte, welche Bedingungen er hier geschaffen hat und welche Ideen er hat, um mit Hoffenheim in die Bundesliga aufzusteigen, kam das meiner Auffassung von moderner substanzieller Arbeit sehr nahe.
Wie hat er Sie überzeugt?
Indem er mir einräumte, dass ich mir eigenständig einen Stab aus Spezialisten zusammenstellen könne, um etwas Einzigartiges im deutschen Fußball aufzubauen. So konnte ich mich auch mit dem Gefühl anfreunden, zurück in die Regionalliga zu gehen.
Was ist der grundlegende Unterschied zwischen Roman Abramowitsch und Dietmar Hopp?
Abramowitsch hat sich in einen Klub eingekauft, der in der Premier League war. Hopp möchte seinen Verein, für den er früher selbst gespielt hat, in die Bundesliga führen. Den Weg nach oben müssen wir durch professionelle Strukturen, optimale Trainingsarbeit und gutes Scouting ebnen. Auch wenn wir natürlich einen finanziellen Background haben, der höher ist als bei anderen Regionalligisten.
Mal ehrlich, wie viel Ahnung hat Dietmar Hopp vom Fußball?
Er hat es aufgrund seiner Hartnäckigkeit geschafft, Bernhard Peters und mich zu überzeugen, nach Hoffenheim zu kommen. Allein das spricht doch für ihn, oder?
Anders gefragt: Kann es sein, dass ein Mann wie Hopp, der so viel Geld in sein Bundesliga-Projekt steckt, sich bei Bedarf in Ihre Belange einmischt?
Dieser Mann hat Visionen, die er nun mit neuen Strukturen angehen will. Dazu gehört auch, dass ich als Cheftrainer im Rahmen eines bestimmten Budgets alle Entscheidungen selbst treffen kann.
Inwieweit verfolgt Dietmar Hopp mit Hoffenheim auch wirtschaftliche Interessen?
Er will vor allem in der Region, aus der er stammt, etwas auf die Beine stellen. Wenn es ihm um etwas anderes ginge, könnte er sich auch locker bei einem Bundesligisten einkaufen. Aber wir haben alle den Anspruch, etwas aufzubauen, damit die TSG langfristig auch als Wirtschaftsmodell funktioniert. Sonst bräuchten wir keinen Top-Geschäftsführer wie Jochen Rotthaus vom VfB Stuttgart.
Auf wie viel Geld verzichten Sie im Vergleich zu einem Bundesliga-Job?
Klar ist, dass Bernhard Peters, Jochen Rotthaus und ich nicht hierher gekommen wären, wenn Hopp uns nach durchschnittlichen Regionalliga-Salären bezahlen würde.
Das heißt, Sie beziehen Bundesliga-Gehälter?
Auch in der Bundesliga differieren die Trainergehälter stark. Wenn ich mit der Bezahlung nicht einverstanden gewesen wäre, hätte ich nicht zugesagt. Aber unsere Verträge sind stark leistungsbezogen. Wenn wir es tatsächlich in die Bundesliga schaffen sollten, wird auch die Dotierung so sein.
Sie haben einen Fünfjahres-Vertrag unterschrieben. Wenn es nicht mit dem Aufstieg klappt, müssen Sie noch ganz schön lang über Regionalliga-Dörfer tingeln.
Wenn wir in fünf Jahren noch immer in der Regionalliga spielen, ist der Trainer-Stab nicht mehr hier. Aber ich habe in Ulm mit schlechteren finanziellen Möglichkeiten und einer zusammengewürfelten Mannschaft den Durchmarsch von der 3. in die 1. Liga geschafft. Hier starten wir ein für Deutschland einmaliges Projekt. Darin liegt für uns alle der Reiz.
Wie sieht Ihr Zeitplan mit der TSG Hoffenheim aus?
Ich will es allerspätestens in zwei Jahren in die 2. Liga schaffen. Das erste Jahr könnte schwierig werden, weil der Stab erst spät im Verlauf der Vorbereitung angefangen hat und viele interessante Spieler nicht mehr auf dem Markt sind.
Wie werden Sie den Kader verstärken?
Wir haben neben Jochen Seitz und Tomislav Maric gerade den dritten Bundesliga-erfahrenen Spieler geholt: Zsolt Löw, ungarischer Nationalspieler von Hansa Rostock. Was jetzt noch fehlt, sind zwei, drei Spieler im Alter zwischen 19 und 21 Jahren, die schon in einer Bundesligamannschaft trainiert haben, es aber bisher nicht in die erste Mannschaft geschafft haben.
Wie wichtig ist die Jugendarbeit?
Wir planen, jedes Jahr zwei, drei Spieler aus der eigenen Jugend zu holen und an den Kader der ersten Mannschaft heranzuführen. Mit Hilfe der beiden Jugendförderungszentren, die Hopp gebaut hat, haben wir eine äußerst intakte Jugendabteilung: Die A-Jugend spielt Bundesliga, die B-Jugend Regionalliga und die C-Jugend Landesstaffel – allesamt in ihrem Bereich deutschlandweit die höchsten Klassen.
Ihr Stab besteht aus Top-Leuten: Hockey-Coach Bernhard Peters als Trainingskoordinator und Direktor für Sport- und Jugendförderung, Jan Schindelmeiser als Manager, Jochen Rotthaus als Geschäftsführer, Philipp Laux als Torwarttrainer, DFB-Sportpsychologe Hans-Dieter Hermann soll auch noch kommen. Inwieweit kopieren Sie das Prinzip, dass Klinsmann als Nationaltrainer durchgesetzt hat?
Wie Klinsmann verfolge ich das Ziel, alle wichtigen Positionen mit dem jeweils richtigen Mann zu besetzen. Der Unterschied zu ihm ist aber, dass er sich vor allem als Supervisor verstand. Ich bin hier neben der Überwachung aller Bereiche auch noch Cheftrainer, der täglich mit der Mannschaft arbeitet. Auch dafür hatte Klinsmann einen Spezialisten: Jogi Löw.
Wie finden Sie es, dass Löw Klinsmanns Job weiterführt?
Die Entscheidung macht aus Sicht des DFB absolut Sinn. Die große Frage wird aber sein, ob Löw neben der taktischen Arbeit als Trainer auch den Supervisor-Job von Klinsmann beherrscht.
Wie kriegen Sie in Personalunion den Job des Supervisors und des Trainers unter einen Hut?
Bei allen meinen Trainerstationen war ich immer mehr als nur Coach. In Ulm beispielsweise ging es gar nicht anders, weil es keinen Manager oder Marketing-Chef gab.
Wie unterscheidet sich Ihre Arbeit mit Hoffenheim-Manager Jan Schindelmeiser von der mit Rudi Assauer auf Schalke?
Die tägliche Arbeit auf Schalke habe ich mit Andreas Müller gemacht, die in ihrer konstruktiven Weise der hier sehr ähnelt. Allerdings konnten Müller und ich aufgrund bestimmter Sachzwänge manche Dinge nicht durchsetzen. Das ist in Hoffenheim anders.
Was für Sachzwänge meinen Sie?
Ein Beispiel: Als wir 2005 Vizemeister wurden, entschieden Müller und ich, zur neuen Saison einen Sportpsychologen zur Leistungsoptimierung hinzuzuziehen. Es gab auch zwei Kandidaten in der engeren Auswahl, doch einige Leute im Verein haben sich gegen die Verpflichtung des Mentaltrainers gewehrt.
Von welchen Leuten sprechen Sie? Rudi Assauer?
Unter anderem. Er hatte mehrmals öffentlich geäußert, dass man früher auch keinen Mentaltrainer gebraucht habe. Und einem wie ihm fällt es nun mal schwer, seine Meinung öffentlich zu korrigieren.
Von außen betrachtet, erkennt man ein wiederkehrendes Muster in Ihrer Trainerlaufbahn: Fast überall haben Sie etwa zwei Jahre sehr erfolgreich gearbeitet und dann anscheinend die Lust an der Aufgabe verloren haben. Was lief schief?
Das sehe ich anders, weil die Umstände jeweils andere waren. In Hannover zum Beispiel prallten mit dem spanischen Manager Ricardo Moar und mir zwei Welten aufeinander. Da muss ich ehrlich zugeben, dass ich die Nase voll von der Art hatte, wie unstrukturiert da gearbeitet wurde. In Schalke wäre ich mit Sicherheit heute noch Trainer, wenn die Entwicklung um Rudi Assauer, so wie sie sich inzwischen vollzogen hat, einige Monate früher stattgefunden hätte.
Sind Sie ein Mensch, der lieber hinschmeißt als von seiner Linie abzurücken?
Ich kann Ihnen versichern, dass es auf Schalke viele Momente gab, wo ich sehr geschluckt habe, mir aber wegen des anhaltenden Erfolges auf die Zunge gebissen habe. Doch kleine Tropfen höhlen den Stein.
Auch Klinsmann hat Schluss gemacht, obwohl man ihn bekniete, weiterzumachen. Können Sie nachvollziehen, warum er so entschieden hat?
Keine Ahnung. Aber ich kann mir in Klinsmanns Fall vorstellen, dass einige Sachen hinter den Kulissen – etwa die Ablehnung von Bernhard Peters durch den DFB – für ihn so enttäuschend waren, dass er sich keine Zukunft als Bundestrainer mehr vorstellen konnte.
Herr Rangnick, Klinsmann hat zwei Jahre vor der WM gesagt, er wolle Weltmeister werden. Was sagen Sie jetzt, kurz nach Ihrem Amtsantritt in Hoffenheim?
Wenn ich nicht überzeugt wäre, dass wir mit Hoffenheim in die Bundesliga aufsteigen können, wäre ich für kein Geld der Welt hierher gekommen. Und wenn wir das geschafft haben, definieren wir die nächsten Ziele.
Definieren Sie doch jetzt mal…
Erst einmal müssen wir in die 2. Liga. Aber wie schon gesagt: Ich will so schnell wie möglich dahin zurück, wo ich hergekommen bin.
(Das von Tim Jürgens geführte Interview findet sich auch in der aktuellen August-Ausgabe des 11FREUNDE-Magazins)
Ein Bauer muss sich auch mal von seinen Kühen und Schweinen trennen – auch wenn er eine gute Beziehung zu ihnen hat.
— Julian Nagelsmann über die Transfers von der Hoffenheimer Spieler Sebastian Rudy und Niklas Süle zum FC Bayern.