Zu früh zu sicher

von Günther Jakobsen13:12 Uhr | 20.09.2006

Im Amateurbereich ist Rassismus eine traurige Begleiterscheinung, die jedoch nur selten Schlagzeilen produziert. Rückt hingegen das Oberhaus in den Fokus der Sportgerichte, werden Bundesligaspieler beleidigt, dann ist die Empörung plötzlich groß. Der DFB sucht schon seit Jahren nach Wegen, um ausländische Spieler vor diskriminierendem Fangebrüll zu schützen.

Der gewalttätige Rassismus, der Anfang der 90er in Brandanschlägen auf Menschen ausländischer Herkunft in Mölln, Rostock, Hoyerswerda und Solingen einen grausamen Höhepunkt erreichte, zog eine heftige Debatte nach sich. Angesichts der erschreckenden Vielzahl an rechtsradikalen Übergriffen sahen sich Politik und Gesellschaft damals gleichermaßen vor die entscheidende Frage gestellt: Gibt es überhaupt noch Zivilcourage in Deutschland? Eine positive Antwort - in Zusammenhang mit den erschütternden Bildern der Pogrome gebracht - war darauf wahrlich nicht leicht zu geben. Zurecht wurde vielerorts der Vorwurf formuliert, Verdruss und fehlendes Engagement seien üble Wegbereiter der Gewalt. Der Kampf gegen Ausländerfeindlichkeit musste neu definiert werden.

Dem DFB, der bereits 1981 eine erste Resolution gegen Ausländerfeindlichkeit verabschiedet hatte, war es ein zentrales Anliegen. Denn Rassismus, das ist nicht von der Hand zu weisen, gibt es auch in deutschen Stadien. Der damalige DFB-Präsident Egidius Braun sagte, dass es auch zu den Aufgaben des Sports zähle, „Vorurteile gegenüber Ausländern, Ressentiments im Verhalten zu unseren Mitbürgern“ zu bekämpfen. Gerade der Fußball stehe aufgrund seiner herausregenden gesellschaftlichen Bedeutung hierbei in der Pflicht. Nur konsequent war daher das Aktionspaket des DFB aus dem Jahr 1992. „Friedlich miteinander – Mein Freund ist Ausländer“ lautete das Motto und war zugleich ein Aufruf, die jüngsten Übergriffe nicht unkommentiert unter den Teppich des Alltags zu kehren.

Die Verantwortlichen riefen daher zahlreiche Aktionen ins Leben, darunter ein Benefizspiel der Nationalmannschaft gegen eine Auswahl ausländischer Profis im Augsburger Rosenaustadion. Im Dezember 1992 prangte der Slogan der Aktion auf den Trikots sämtlicher Bundesligavereine. Der Reinerlös kam sozialen Organisationen zugute, die der DFB „als Eckpfeiler in der gesellschaftlichpolitischen Grundhaltung“ betrachtete. Weil die Sache zunächst Wirkung zeigte und das Problem etwas an Brisanz verlor, wurde 2000 eine verfrühte Bilanz gezogen. DFB-Vertreter Horst R. Schmidt sagte während eines Rahmenprogramms des Netzwerks Football Against Racism in Europe (FARE): „Damals hatten wir Rassismusprobleme, als farbige Spieler zu uns kamen und in den Stadien Dschungelgeräusche zu hören waren und Bananen aufs Spielfeld geworfen wurden.“ Sein Fazit: „Das Problem ist heute fast verschwunden.“

„Das Wort Asylant"

Leider hat es sich nicht bewahrheitet. Die Vergangenheit hat die Liga eingeholt. Vor zwei Wochen wurde der Schalker Gerald Asamoah Opfer rassistischer Beleidigungen in Rostock, am vergangenen Samstag traf es den Gladbacher Kahe. Schiedsrichter Michael Weiner erwägte indes einen Spielabbruch auf dem Aachener Tivoli. „Ich soll vom Schiedsrichter ausrichten, dass er das Spiel unterbrechen wird, wenn er nochmals das Wort Asylant hört“, leitete der Stadionsprecher an die Fans weiter. Darüber hinaus ergab Weiners Sonderbericht, dass die Gladbacher den Alemannia-Verteidiger Sichone mit fremdenfeindlichen Sprechchören beleidigten. Das DFB-Sportgericht bekommt bald viel zu tun. Erst einige Tage zuvor hat der Schiedsrichter-Ausschuss darüber nachgedacht, wie es diskriminierenden Zuschauerreaktionen zu begegnen gilt. Weiners Ansage ist ein Teil der neuen Vorgehensweise. Zusätzlich werden Vereine in Zukunft mit noch höheren Geldstrafen belegt, wie im Rostocker Urteil, bei dem der Verein zur Zahlung von 20 000 Euro und einer Platzsperre verdonnert wurde.

Gerade noch rechtzeitig wurde dazu der seit Juli 2006 gültige Artikel des FIFA-Disziplinar-Codes in die Satzung des DFB aufgenommen, womit „diskriminierenden und menschenverachtenden Verhaltensweisen“ mit juristischer Härte entgegen getreten werden soll. Zwar wurden schon 1992 wichtige Beschlüsse auf den Weg gebracht. Als Rassismus freie Zone können die deutschen Stadien bisweilen nicht bezeichnet werden. Schon damals gab es deutliche Kritik: „Das war eine PR-Maßnahme des DFB,“ stellte Konfliktforscher Prof. Gunter A. Pilz fest, „die ohne Rücksprache mit den Fans oder den Fan-Projekten erfolgte.“ Zivilcourage und Kampf gegen Ausländerfeindlichkeit, so der Fachmann, erschöpfen sich nicht in kurzlebigen und medienwirksamen Aktionen, die darauf ausgelegt sind, möglichst bald von Erfolg gekrönt zu sein.

Das heißt: Wer sich zu früh in Sicherheit wiegt, der wird immer wieder feststellen müssen, dass die Überwindung von Rassismus kein Selbstläufer und kein einmaliger Akt ist. Und wer zur schnell zur Tagesordnung übergeht, verkennt die Gefahr, dass sich nur wenig ändert, wenn nicht das Prinzip der Nachhaltigkeit oberste Priorität genießt. Das, so scheint es, ist die wichtigste Lehre aus der Vergangenheit.

Paul Linke/11Freunde-Redaktion



Heute hab ich gar nichts zu sagen, heute kann der Trainer mal was sagen. Die haben dann Mann gegen Mann gespielt, bloß wir haben's nicht gesehen.

— Matthias Sammer, BVB, leicht angefressen nach einem 2:2 beim HSV.