Was erlaube Henke?

Der Begriff "Scheiß" gehört zum Stammvokabular des Fußballs. Der gemeine Fan grölt aus Leibeskräften "Scheiß FC Bayern!" oder bemerkt abfällig "Scheiß Bremer", der Spieler in Köln erweitert das "Scheiß" um den "Dreck" und ein vorangestelltes "so´n", womit er seine Meinung zum Thema Systemfußball kundgetan hätte; ein ehemaliger Bundestrainer immerhin bemüht sich um Contenance, indem er die Synonyme "Mist" und "Käse" in einer berühmt gewordenen Tirade zur Verwendung bringt.
Diese Beispiele lassen sich sorglos unter der Rubrik "Fanemotion" oder der phrasenschweinverdächtigen Kategorie "Isch-hatte-nach-dem-Spiel-so-viel-Adrenalin-im-Blut-da-denk-isch-nisch-drüber-nach-was-isch-sage" ablegen, ohne dass ein empörter Aufschrei durch das Land hallen müsste. Nun hat Michael Henke, seines Zeichen hauptverantwortlicher Übungsleiter beim 1. FC Kaiserslautern, auch seine verbalen Experimente mit dem Wörtchen "Scheiß" veranstaltet, indem er es während des DFB-Pokalspiels seiner Elf im thüringischen Erfurt gastgebenden Spielern an den Kopf warf, erweitert durch die Bezeichnung "Ossi". Zur Verteidigung von Herrn Henke sei gleich vorangestellt, dass sich die Äußerung als Reaktion auf unsportliches Verhalten der Erfurter ihren Weg aus des Trainers Mund bahnte und somit leicht unter einer der beiden oben genannten Kategorien zu verorten wäre. Und: Henke wird nicht der erste und nicht der letzte Mensch gewesen sein, dem die Beschimpfung (und eine solche ist es schließlich) "Scheiß Ossi" über die Lippen kam – mithin werden ihm die Vielen, die das regionale Gegenstück ("Scheiß Wessi") des Öfteren nutzen, sein Vergehen kaum vorwerfen können.
Dennoch hat der Vorfall einen faden Beigeschmack. Zeigt er doch, dass sich in den Köpfen mancher noch immer auch ganz andere Mauern finden, als die, die es auf dem Platz zu bilden gilt. Henke hat einfach etwas Grundlegendes nicht verstanden: der Begriff "Ossi" ist politisch so belegt, dass seine Nutzung oder abfällige Bemerkungen im Zusammenhang mit ihm durch eine öffentlich Person zwangsläufig Konsequenzen nach sich zieht, ob diese Person nun Edmund Stoiber oder Michael Henke heißt. Stoiber hat seine Äußerung viele Stimmen gekostet, Henke wird sie vermutlich einen Haufen Sympathien, ein kleines Ermittlungsverfahren des DFB und 10.000 Euro kosten. Schließlich hat der neutrale Schweizer Vereinsboss Jäggi umgehend zu dieser Maßnahme gegriffen, womit zusätzlich bewiesen wäre, dass auf die Schweiz im Krisenfall Verlass ist.
Im Übrigen hätte Michael Henke es auch viel leichter haben können. Vor Wut von der Bank hätte er aufspringen können und, sich in die Luft schraubend, die Faust drohend geballt in Richtung Gegner werfend, ausrufen können: "Scheiß Thüringer". Dabei handelt es sich selbstredend um Bratwürste und die sind, ob auf dem Grill oder auf den Titelseiten einer großen Boulevardzeitung, nun wirklich leicht mit Fußball in Verbindung zu bringen. Und niemand, wirklich niemand, nicht einmal ein Schweizer, hätte ihm daraus einen Vorwurf machen können.
Jan-C. Poppe